Von assistiert zu automatisiert

Noch zuckeln automatisierte Fahrzeuge in der Schweiz erst als Test-Shuttlebusse durch drei Orte. Wo steht die Automatisierung von Fahrzeugen?

  • Anette Michel, Projektleiterin Auto-Umweltliste
  • 29. Oktober 2021
Parkieren per Fernsteuerung: bei Autos mit entsprechender Technologie bald erlaubt.
Bild: Fotolia/ RioPatucaImages

«Bis wohl 2020 vollautonome Autos Realität sind, …» war in der «Auto-Umweltliste» 2015 zu lesen. Vier Jahre später steht fest: Vollautonome (oder auch: vollautomatisierte) Fahrzeuge finden sich weder in dieser noch in der nächsten Ausgabe der «Auto-Umweltliste». Trotzdem: Es ist bereits heute beeindruckend, wozu moderne Fahrzeuge in der Lage sind.

Die Entwicklung hin zu automatisiertem Fahren wird in die Stufen 0 bis 5 eingeteilt (siehe Kasten). Heutige Neuwagen entsprechen meist den Stufen 1 oder 2. Ältere Autos, die lediglich über ein Antiblockiersystem (ABS) und elektronische Stabilitätskontrolle (ESP) verfügen, werden der Stufe 0 zugeteilt. Der Stufe 1 werden Assistenzsysteme zugeordnet wie der Abstandstempomat, der die Geschwindigkeit und den Abstand zum Vorfahrer kontrolliert, oder der Spurhalteassistent, der die Fahrbahnmarkierungen im Blick der Kamera hält und so die Querführung kontrolliert. Weitere häufige Assistenzsysteme sind der Notbremsassistent, der bei einer drohenden Kollision warnt und oder bremst, und der Parkassistent, der die Lenkung beim Parkieren übernimmt, so dass der Fahrer nur noch Gas geben und bremsen muss.

Überwachung nötig

Für diese Assistenzsysteme setzen die Autohersteller auf Kameras, Radar-, Ultraschall-oder Lasersys teme (Lidar), welche die Umgebung des Fahrzeugs beobachten. Je nach Marke und Modell sind sie – und auch weitere Assistenzsysteme – bereits in der Standardausstattung enthalten oder optional gegen Aufpreis erhältlich.

Systeme der Stufe 2 kombinieren die Funktionen solcher Assistenten, so dass das Fahrzeug in bestimmten Situationen sowohl das Lenken als auch das Beschleunigen und Bremsen übernehmen kann. Dabei muss das Fahrzeug dauerhaft von der Fahrerin überwacht werden. Insbesondere auf der wenig komplexen Fahrumgebung der Autobahn können moderne Autos schon weitgehend selbständig fahren.

Timothy Pfannkuchen, Auto-Journalist bei der Schweizer Illustrierten, erzählt von Testfahrten: «Auf der Autobahn etwa von Schaffhausen nach Winterthur kann ich heute in quasi jedem Audi, BMW, Mercedes, Tesla und Co. ohne Eingriff fahren. Das ist echt praktisch: Wenn’s staut, hält das Auto selbst an und fährt später wieder los. Drückt man den Blinkerhebel, führt das Auto selbst ein Überholmanöver durch. Aber: Lenkrad loslassen ist noch verboten.»

Automatisches Parkieren

Das Strassenverkehrsgesetz schreibt vor, dass «der Führer dauernd sein Fahrzeug beherrschen muss». Registrieren die Sensoren keine Hände am Lenkrad, schlägt das Auto akustisch Alarm. Stufe 3 ist aktuell rechtlich gar nicht möglich, denn ab dieser Automatisierungsstufe müssen Fahrzeuge nicht mehr dauernd überwacht werden.

In bestimmten Situationen übergibt die Fahrerin die Kontrolle dem System – muss aber auf Aufforderung hin eingreifen können. Technisch wären viele Fahrzeuge bereits in der Lage, in bestimmten Situationen selbst zu fahren. Neben dem Fahren auf der Autobahn ist etwa in teuren Autos automatisiertes Parkieren möglich: Der Fahrer kann das Manöver per Handy-App von ausserhalb auslösen. Erlaubt ist dies noch nicht – soll es aber bald werden.

«Wenn’s staut, hält das Auto selbst an und fährt später wieder los. Drückt man den Blinkerhebel, führt das Auto selbst ein Überholmanöver durch.»
Timothy Pfannkuchen

Der Entwurf für die neue Verkehrsregelverordnung sieht vor, dass bei Autos mit Parkassistenten beim Parkieren nicht nur das Lenkrad losgelassen, sondern auch das Auto verlassen werden darf. Zudem sind Anpassungen des Strassenverkehrsgesetzes in Vorbereitung, welche die Grundlagen für die Zulassung automatisierter Fahrzeuge schaffen sollen.

Stufe 3 überspringen?

Laut Michael Müller vom Bundesamt für Strassen deutet heute vieles darauf hin, dass die Entwicklung anstatt via Stufe 3 direkt zu Stufe 4 gehen könnte. Die Übergabe der Kontrolle an den Fahrer in Stufe 3 stellt nämlich ein Risiko dar. «Fahrpsychologisch ist eine Übernahme heikel, weil die Fahrer nicht im Fahrkontext sind, und das erst noch in einer potenziell heiklen Situation», so Müller. «Diese Problematik haben inzwischen auch die Automobilhersteller erkannt. Sie wollen darum Autobahnpiloten so bauen, dass sie in einen risikominimalen Zustand gehen bei Schwierigkeiten, dass also die Fahrer nicht mehr die Rückfallebene sind. Und das entspricht dann dem Stufe 4-Modus, also dem hochautomatisierten Fahren.»

In Stufe 4 kann das hochautomatisierte Fahrzeug mit allen Situationen in «spezifischen Anwendungsfällen» umgehen – also beispielsweise Fahren auf Autobahn und Hauptstrasse bei praktisch allen Wetterverhältnissen. Der Fahrer muss nicht mehr dauernd zur Übernahme bereit sein, sondern nur, wenn der Anwendungsfall beendet wird (z. B. bei der Autobahnausfahrt). Das ermöglicht eine längere Vorwarnzeit. Zudem sollen Stufe 4-Fahrzeuge von selbst in einen «risikominimalen Zustand» gehen, falls der Fahrer nicht übernimmt. Wie dieser Zustand aussieht, hängt von der Situation ab. So ist es nicht immer eine gute Idee, einfach anzuhalten.

Vollautomatisiert intelligent

Fahrzeuge der Stufe 5 brauchen kein Lenkrad und keine Gas- und Bremspedale mehr – sie kommen mit allen Situationen automatisch klar. Vollautomatisierte Fahrzeuge sollen den Verkehr deutlich sicherer machen. Aktuell sind rund 90 % der Verkehrsunfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen. Anders als Menschen sind Sensoren nie abgelenkt, müde oder betrunken.

Vollautomatisierte Fahrzeuge werden vernetzt sein, damit sie Informationen mit anderen Fahrzeugen sowie der Infrastruktur austauschen können. Zudem wird davon ausgegangen, dass vollautomatisierte Fahrzeuge nur mit künstlicher Intelligenz möglich sind. Diese ermöglicht es Systemen, selbst zu lernen – in der komplexen Welt des Verkehrs dürfte dies zwingend sein. Um mit allen möglichen Verkehrssituationen souverän umgehen zu können, sind abertausende Testfahrten nötig. Tech-Firmen wie Google und Uber haben damit bereits angefangen: In den USA sind hochautomatisierte und auch erste führerlose Fahrzeuge unterwegs, sammeln Daten und «trainieren». Die ersten führerlosen Testbusse der Schweiz in Sitten, Freiburg und Neuhausen am Rheinfall sind hingegen auf klar definierten Strecken unterwegs. Wann wir auch neben diesen Strecken damit rechnen müssen, automatisierten Fahrzeugen auf Schweizer Strassen zu begegnen, dazu wagt die «Auto-Umweltliste» heute keine Prognose.


Stufen der Automatisierung

Stufe 0 keine Automatisierung

Stufe 1 assistiert: Assistenzsysteme unterstützen bei der Längs- oder Querführung.

Stufe 2 teilautomatisiert: Assistenzsysteme unterstützen in speziellen Situationen bei Längs- und Querführung. Der Fahrer überwacht das System die ganze Zeit.

Stufe 3 bedingt automatisiert: entspricht Stufe 2, doch eine dauerhafte Überwachung ist nicht mehr nötig. Die Fahrerin muss eingreifen können, wenn das System sie dazu auffordert.

Stufe 4 hochautomatisiert: Das Fahrzeug kann in bestimmten Anwendungsfällen mit allen Situationen umgehen. Übernimmt der Fahrer an dessen Ende nicht, begibt sich das Fahrzeug in einen «risikominimalen Zustand».

Stufe 5 vollautomatisiert: Das System fährt selbständig.


Dieser Text wurde erstmals im März 2019 in der Auto-Umweltliste publiziert.


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