Die Bewohnerinnen und Bewohner des Basler Areals Erlenmatt Ost haben sich den Grundsätzen der 2000-Watt-Gesellschaft verschrieben. Sie decken den Strom- und Wärmebedarf mittels Photovoltaik-Anlagen und Wärmepumpen. Der produzierte Strom wird für den Haushalt verwendet – aber speist auch zwei Elektroautos, die als Carsharing- Angebot zur Verfügung stehen.
Das Pilotprojekt geht noch einen Schritt weiter: Dank
bidirektionaler – also zweiseitig funktionierender – Ladesysteme können die
Autobatterien nicht nur ge-, sondern auch entladen werden. Kommt es bei guten
Bedingungen zu einer Überproduktion von Strom, dienen sie als Zwischenspeicher.
Bei Bedarf – zum Beispiel abends oder bei Schlechtwetter – kann der Strom
zurück ins Netz des Areals gespeist werden.
Was in Erlenmatt Ost seit letztem Herbst auf Herz und Nieren
getestet wird, zahlt sich in vielerlei Hinsicht aus. Überschüssiger Solarstrom
kann gespeichert und später selbst genutzt werden. Er muss also nicht zu einem
tiefen Preis an den lokalen Energieversorger verkauft werden. Gerade
energieeffiziente Gebäude verbrauchen heute oft weniger Strom, als sie
produzieren. Gleichzeitig eignen sich Autobatterien gut als Zwischenspeicher.
Nicht zuletzt profitieren die Bewohnerinnen und Bewohner von einem
umweltverträglichen Carsharing- Angebot auf Solarstrom-Basis.
Schweizweite Premiere
Initiantin des Pilotprojekts ist novatlantis – die
gemeinnützige Gesellschaft für Nachhaltigkeit und Wissenstransfer. Für
Geschäftsführerin Anna Roschewitz ist es ein Glücksfall: «Das Thema ist auf
mehreren Ebenen komplex. Es verbindet den Sektor Gebäude mit dem Sektor
Mobilität. Das ist nicht einfach, weil die jeweiligen Fachleute häufig
verschiedene Sprachen sprechen und verschiedene Ziele verfolgen.» In Erlenmatt Ost
wollen alle Beteiligten dasselbe: Ein innovatives Projekt realisieren, das in
Zukunft auf andere Areale übertragbar ist.
Geteilt genutztes Elektroauto – betrieben mit Solarstrom: Anna Roschewitz neben dem Nissan Leaf in Erlenmatt Ost.
Bild: novatlantis
«Es ist das allererste Mal, dass ein solches Projekt in der
Schweiz umgesetzt wird. In der Theorie sprechen viele davon – die praktischen
technischen und organisatorischen Probleme müssen dafür aber auch gelöst
werden», sagt Roschewitz. Und dahinter steckt hohes Engagement, ein gemeinsamer
Wille und auch viel Arbeit für die beteiligten Fachleute im Projektkonsortium,
bestehend aus novatlantis, der ADEV Energiegenossenschaft, der Smart Energy
Control GmbH, der Stiftung Habitat, der Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften und dem Amt für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt.
Bedürfnisse der Bewohnenden
Um die Gebäudetechnologie mit den Elektrofahrzeugen zu
koppeln, braucht es einerseits spezielle Ladestationen auf Gleichstrombasis –
eine kostspielige Angelegenheit, in Europa gibt es zurzeit einen einzigen
Hersteller. Andererseits müssen die Autos nicht nur ge-, sondern auch entladen
werden können – eine Technologie, die sich bisher nur in China und Japan
durchgesetzt hat, wie Andreas Appenzeller von der ADEV Energiegenossenschaft
erklärt. Das macht die Auswahl an Fahrzeugen überschaubar.
«War vor fünf Jahren noch eine Kapazität von 20 Kilowattstunden Standard,
sind es heute bereits 40 Kilowattstunden, und sie wird in den nächsten Jahren weiter
steigen»
Andreas Appenzeller
Der Entscheid fiel auf einen Nissan Leaf und den 7-Plätzer
Nissan ENV200 Evalia. In Erlenmatt Ost gibt es pro zehn Wohnungen nur einen
Parkplatz, und die beiden Autos sind die einzigen Carsharing- Angebote innerhalb
der Siedlung. Sie sollen die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse so breit wie
möglich abdecken.
Erst eine spezielle Software macht es möglich, dass die Autos
gebucht, die Kosten abgerechnet werden können und sie jederzeit genügend
geladen sind. Eine vollständige Ladung nimmt zwei Stunden in Anspruch, die zwei
Ladestationen verfügen je über eine Leistung von 20 Kilowatt. Die
Entladeleistung beschränkt sich herstellerbedingt auf 10 Kilowatt. Die Software
stellt sicher, dass die Autobatterien nie ganz entladen werden. Welche minimale
Reichweite garantiert werden muss, um den Komfort der Anwenderinnen und
Anwender möglichst nicht einzuschränken, eruieren Appenzeller und sein Team
momentan.
Ängste abbauen
«Die Autobatterien haben sich in den letzten Jahren
entwickelt. War vor fünf Jahren noch eine Kapazität von 20 Kilowattstunden Standard,
sind es heute bereits 40 Kilowattstunden, und sie wird in den nächsten Jahren weiter
steigen», sagt Appenzeller. Wird abends Strom in haushaltsüblichen Mengen verbraucht,
können am nächsten Tag noch viele Kilometer gefahren werden. Völlig unbegründet
ist gemäss Appenzeller auch die landläufige Befürchtung, der zusätzliche Gebrauch
wirke sich negativ auf die Lebensdauer der Batterien aus: Verkürzend wirkt sich
vielmehr ein Nichtgebrauch aus.
Kopfschmerzen bereiten dem Projektkonsortium hingegen die Ängste
potenzieller Nutzerinnen und Nutzer. Zwar ist der Kreis der Interessierten
gross – bis Ende 2019 werden über 300 Menschen in Erlenmatt Ost leben –, doch
in den ersten Wochen wurden die Autos im Schnitt nur zwei Mal wöchentlich
gebraucht und am Abend praktisch nie. «Die Bewohnerinnen und Bewohner befürworten
zwar Elektroautos, gewohnt sind sie aber Benziner», erklärt sich Appenzeller diese
Zurückhaltung. Spezielle Vorführung vor Ort und Workshops sollen nun
Gegensteuer bieten.
Berührungsängste hatte auch Erlenmatt- Bewohner Roger Ruch.
«Als ich zum ersten Mal den Startknopf des Nissan Leaf gedrückt habe, ist
nichts passiert. Also habe ich ihn ein zweites Mal gedrückt – und das Auto gleich
wieder abgeschaltet», erzählt er und lacht. Aber Übung macht den Meister, Ruch hat
inzwischen gelernt, das Fahrzeug korrekt zu bedienen, und ist vom Angebot
begeistert. Weil die Autos in der Tiefgarage direkt unter dem Haus stehen –
gerade bei Transporten ein gewichtiger Vorteil gegenüber anderen Carsharing- Angeboten.
Und weil sie mit erneuerbarem Strom fahren.
In China und Asien Standard
Im laufenden Jahr will das Projektkonsortium nun eruieren, wie
das Optimum aus dem System herausgeholt werden kann – etwa über die
Preisgestaltung. Es hat sich zum Ziel gesetzt, die Erkenntnisse anderen
autofreien oder autoarmen Siedlungen zur Verfügung zu stellen. Es gibt
Interessenten, aber auch dort spürt Appenzeller Zurückhaltung: «Man muss sehr
viel erklären, viele wollen zuerst die Resultate abwarten.» Während es auch in
anderen europäischen Ländern erst wenige vergleichbare Projekte gibt, ist das
Prinzip der zweiseitig funktionierenden Ladesysteme in China und Japan bereits
heute Standard. In der chinesischen Metropole Shenzhen sind alle 16 000
öffentlichen Busse mit bidirektional ladefähigen Batterien unterwegs.
Dieser Text wurde im März 2019 in der Auto-Umweltliste publiziert. In einer leicht anderen Fassung ist er erstmals im VCS-Magazin 4/2018 unter dem Titel «Heizen, kochen, Auto fahren ...» erschienen.