Elektrische Nutzfahrzeuge: Was kosten sie wirklich?

Schwere Lasten, viele Kilometer und umweltfreundlicher Betrieb: Mit welchen Kosten müssen Unternehmen rechnen, die ihre Nutzfahrzeugflotte auf Elektroantrieb umstellen möchten?

  • Rahel Meister, Sprachwerk GmbH
  • 31. Januar 2022
Bis 2030 werden alle Briefe und Pakete elektrisch zugestellt – Die Post setzt dazu auf Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller, je nach TCO der einzelnen Fahrzeuge (im Bild MAN eTGE).
Bild: Die Post


Der Trend ist eindeutig: 2020 wurden 48.9% mehr batterieelektrische Fahrzeuge als im Vorjahr verkauft. Noch entfällt der Löwenanteil auf Personenwagen. Unternehmen mit Nutzfahrzeugen fällt der Entscheid nicht immer leicht – oft schrecken die hohen Kaufpreise ab. Doch sind Elektronutzfahrzeuge wirklich teurer als Verbrenner?

Um die tatsächlichen Kosten eines Fahrzeuges zu erheben, bedient sich die Automobilbranche der sogenannten «Total Cost of Ownership», kurz TCO. Zu diesen Gesamtbetriebskosten zählen Finanzierung, Treibstoff, Wartung, Reparaturen, Reifen, Fahrzeugsteuern und Versicherungen sowie noch einige weitere kleinere Posten.

Die Berechnung der TCO gehört zum Alltag von Anbietern für Full-Service-Leasing und Mobilitätslösungen wie Arval (Schweiz) AG, die markenunabhängig für ihre Kundinnen und Kunden Leasingangebote zusammenstellen. Sales Director Roger Rölli bestätigt das grosse Interesse: «Bei rund 80% unserer Beratungsgespräche ist Elektromobilität ein Thema, etwa 15% aller bestellten Fahrzeuge sind elektrisch».

Treibstoffkosten – der Trumpf der Stromer

Ob neu, geleast oder gebraucht – der grösste Kostenpunkt beim Autokauf ist das Fahrzeug selbst. Noch sind die Listenpreise der Elektrofahrzeuge im Durchschnitt – teilweise deutlich – höher als bei Verbrennern. Wird das Fahrzeug für eine gewisse Zeit geleast oder nach einigen Jahren wieder abgestossen, ist die Differenz zwischen Einkaufspreis und Restwert zu finanzieren. Rölli gibt zu, dass die Restwertbestimmung bei Elektrofahrzeugen teilweise noch dem «Blick in die Glaskugel» gleiche, aber Arval glaubt an die Zukunft von Elektrofahrzeugen und setzt attraktive Restwerte für gebrauchte Elektroautos an.

Obwohl Elektrofahrzeuge in der Anschaffung (noch) teurer sind als solche mit Verbrennungsmotor, zeigt das Beispiel für einen Renault Kangoo, dass die TCO der Elektroversion bereits heute günstiger als bei einem Diesel sein können. Die Nase vorn haben Elektrofahrzeuge bei den Treibstoffkosten – insbesondere, wenn günstig nachts oder über eine eigene Photovoltaikanlage geladen wird. Lädt man hingegen ausschliesslich an Schnellladestationen entlang der Autobahnen, schnellen die Kosten in die Höhe. Je mehr Kilometer gefahren werden, desto stärker wirkt sich der Vorteil der günstigeren Energiekosten von Elektrofahrzeugen auf die TCO aus.

Eines der beliebtesten E-Nutzfahrzeuge der Schweiz, der Renault Kangoo, trumpft bereits bei den Gesamtbetriebskosten. In der Beispielrechnung wurden 25‘000km pro Jahr angenommen.

In Sachen Unterhalt und Servicekosten sind Elektromotoren im Vorteil: Sie bestehen aus deutlich weniger Komponenten als ein Verbrennungsmotor, wodurch sie viel weniger Verschleiss aufweisen – insbesondere machen ihnen Kurzstrecken und Stop&Go-Fahrten, wie sie bei Handwerkbetrieben und Lieferdiensten üblich sind, wenig zu schaffen. Einzuberechnen ist bei Elektrofahrzeugen jedoch die Anschaffung und Installation einer Ladestation. Arval rechnet dafür im Durchschnitt mit Kosten von 4 000 Franken für ein intelligentes Ladekonzept (inkl. Soft- und Hardware, Installation und Projektabwicklung) und mit 2 800 Franken für eine einfache Ladestation inklusive der Installation: «Wir gehen davon aus, dass sich die Investitionen in ein intelligentes Ladekonzept nach etwa 40 000 Kilometern amortisiert haben, je nach Strompreisen», so Rölli.

Fazit: Der höhere Kaufpreis wird in erster Linie durch geringere Energie- und Servicekosten wettgemacht. Sobald zudem die Kosten für die Ladeinfrastruktur amortisiert sind, verbessern sich die TCO weiter zugunsten der Elektrofahrzeuge. Bei den Reifen und Versicherungen liegen die Kosten bei allen Fahrzeugen in einem ähnlichen Bereich.

«Wir gehen davon aus, dass sich die Investitionen in ein intelligentes Ladekonzept nach etwa 40 000 Kilometern amortisiert haben, je nach Strompreisen.»
Roger Rölli

Ins grosse Ganze eingebettet

Doch nicht bloss das Gewerbe und kleine Unternehmen beschäftigen sich mit der Umstellung des Fuhrparks. Naturgemäss viele Fahrzeuge setzt etwa die Schweizerische Post ein, welche auf Elektronutzfahrzeuge setzt. Mit den elektrischen Dreirädern für die Zustellung von Briefen und vermehrt auch Paketen schreibt der gelbe Riese eine Erfolgsgeschichte. Für die Paketauslieferung, bei der die Fahrzeuge durchschnittlich 20 000 bis 25 000 Kilometer pro Jahr fahren, sind bereits rund 40 Elektronutzfahrzeuge im Einsatz, weitere 30 Fahrzeuge sind für 2022 bestellt. In der restlichen Zustellung sind bereits über 200 elektrische Fahrzeuge schweizweit unterwegs. Mit der «Route:E – Initiative Elektromobilität» verfolgt die Post unter anderem das Ziel, die Zustellflotte bis 2030 vollständigzu elektrifizieren.

Das Flottenmanagement für die Fahrzeuge der Post – von E-Bikes und Dreirädern über Paketlieferwagen bis hin zu LKW und Spezialfahrzeugen – ist komplex, bietet aber auch viele Chancen. Dazu Bruno Fankhauser, COO von Post Company Cars, die unter anderem den Fuhrpark der Post betreut: «Bei der Umstellung auf Elektromobilität sind diverse Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Wichtig ist, alle relevanten Akteure und Kriterien miteinzubeziehen. Wir prüfen beispielsweise mit den Kollegen des Immobilienmanagements, wie wir an einem Standort die Ladestation optimal mit einer Photovoltaikanlage kombinieren können. Dank detaillierten und spezifischen Marktabfragen können wir die Umstellung auf die E-Mobilität situativ und wirtschaftlich vorantreiben. Durch die enge Zusammenarbeit ergeben sich wertvolle Synergien.»

Die Zukunftsaussichten

Keine Frage: in punkto Kosten wird die Elektromobilität laufend attraktiver, dies gilt auch für Nutzfahrzeuge. Noch ist die Auswahl an Modellen und Ausstattungsvarianten kleiner als bei Dieselnutzfahrzeugen. Zudem sind die Listenpreise höher und die Verfügbarkeit an Servicegaragen geringer. Doch all diese Nachteile werden sich durch das wachsende Angebot entschärfen und schliesslich verschwinden, sind die Gesprächspartner überzeugt. Mit der Verbreitung von Photovoltaikanlagen können immer mehr Autobesitzerinnen und -besitzer ihr Fahrzeug mit eigenem Solarstrom aufladen und so die Energiekosten für die Elektrofahrzeuge senken. Intelligente Lademanagementsysteme optimieren die Stromkosten zusätzlich.