Heute mehr ist morgen weniger

Wer bei der Fahrzeugbeschaffung die Vollkostenrechnung macht, fährt auf lange Sicht günstiger und umweltfreundlicher. Mit dem revidierten Beschaffungsgesetz treten für die öffentliche Hand ab Januar 2021 harmonisierte Regelungen in Kraft. Sie gewichten die Nachhaltigkeit stärker als den Preis.

  • Eva Hirsiger, Projektleiterin öffentliche Beschaffung, Standards & Labels, Pusch – Praktischer Umweltschutz
  • 11. November 2021
Die Kapo St. Gallen setzt auf Elektro-Patrouillenfahrzeuge. Die tieferen Betriebs- und Wartungskosten gleichen den rund 20 % höheren Anschaffungspreis aus.
Bild: Kantonspolizei St. Gallen


In der Schweiz kauft die öffentliche Hand für jährlich 40 Milliarden Schweizer Franken Güter und Dienstleistungen ein, darunter auch Fahrzeuge. Bis anhin herrschte in der Beschaffung eine heterogene Rechtslage: Regelungen für den Bund, interkantonale Bestimmungen sowie kantonale und kommunale Vorgaben sorgten für Rechtsunsicherheit.

Nun wurde Mitte 2019 die Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) im National- und Ständerat einstimmig verabschiedet. Parallel dazu wurde die neue Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) vorbereitet, welche nun in den Kantonen zur Umsetzung ansteht. Das revidierte Bundesgesetz tritt 2021 in Kraft.

Nachhaltigkeit Schub geben

Nebst der Harmonisierung liegt im totalrevidierten BöB ein Fokus auf der Förderung von Nachhaltigkeitskriterien. Dies ist explizit auch Teil der UNO-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG), zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat. Die Erreichung der SDG bis 2030, aber auch das Klimaziel Netto-Null bis 2050 bedingen einen eigentlichen Nachhaltigkeitsschub. Mit dem neuen BöB hat die öffentliche Hand einen grossen Hebel, den sie verantwortungsvoll betätigen sollte. Denn Bund, Kantone und Gemeinden sind nicht nur Vorbild, wenn es um die Beschaffung geht. Bis zu einem gewissen Grad beeinflussen sie mit ihrer grossen Nachfrage auch die Marktentwicklung, was sich positiv auf Innovationen auswirken kann.

Die «richtigen» Kriterien …

Wie bisher ist es auch weiterhin möglich, Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungen zu integrieren, insbesondere bei den technischen Spezifikationen und den Zuschlagskriterien. So können beispielsweise Punkte vergeben werden für bessere Energieeffizienz oder weniger Schadstoffemissionen. Neu könnte man auch externe Kosten (z. B. CO2-Emissionen) mitberücksichtigen. Dies ist in der Praxis jedoch noch nicht weit verbreitet, obwohl beispielsweise die EU bereits Richtwerte für CO2-Emissionen kennt. In der Schweiz dürfte es noch keine Umsetzungsbeispiele der öffentlichen Hand geben, welche die externen Kosten einbeziehen und so als Referenz gelten könnten. Es ist also Pioniergeist gefragt.

… und «richtig» rechnen

Ein wichtiger Punkt bezüglich Nachhaltigkeit in den Zuschlagskriterien bei Ausschreibungen ist denn auch eine umfassende Kostenberechnung. Geht es hauptsächlich um den Einkaufspreis, ist dieser bei Fahrzeugen mit alternativem Antrieb (Elektro, Gas oder Hybrid) oft höher. Richtig rechnet, wer die Gesamtkosten (Total Cost of Ownership, TCO) bzw. die Lebenszykluskosten betrachtet (siehe Kasten).

Wenn Wartung, Reparatur, Betrieb und Entsorgung eingerechnet werden, sind umweltschonende Fahrzeuge oft günstiger oder gleich teuer wie herkömmliche Fahrzeuge. Eine Gesamtkostenrechnung muss aber in der Ausschreibung explizit eingefordert werden, sonst haben Fahrzeuge mit alternativem Antrieb wegen der oft höheren Einkaufskosten einen Nachteil. Auch für Privatpersonen lohnt sich – obwohl aufwendig – eine Berechnung der TCO.


E-Cargovelos können eine umweltfreundliche Alternative zu Lieferwagen sein. Die Stadt Wil fördert deren Anschaffung erfolgreich.

Bild: Smart City Wil

Ist am Ende weniger doch mehr?

Unabhängig von den geltenden Regelungen sollte vor jeder Beschaffung die Frage stehen, ob es das Fahrzeug wirklich braucht. Vielleicht können mit verbesserter Planung Geschäftsfahrten reduziert werden. Muss man das Fahrzeug selber besitzen oder kommen andere Optionen in Frage? Anstatt nur für eine Gemeinde zu kaufen, könnte man prüfen, ob andere Gemeinden oder Unternehmen an einem Pooling oder Sharing interessiert wären. Wäre eine Alternative zum Kauf eines Fahrzeuges vorstellbar? Kleinere Lasten könnten beispielsweise mit Cargobikes oder Veloanhängern transportiert werden.


Kompass Nachhaltigkeit

Eine Ausschreibung zur Beschaffung von Fahrzeugen verlangt viel Vorbereitung und strukturiertes Vorgehen. Das neue Merkblatt der Stiftung Pusch bietet nicht nur für die öffentliche Hand praktische Orientierungshilfe. Nebst einer erklärenden Einführung zum Thema Fahrzeugbeschaffung enthält es eine Übersicht zu Vor- und Nachteilen der verschiedenen Antriebsarten und es bietet eine Tabelle mit vorformulierten Nachhaltigkeitskriterien sowie möglichen Nachweisen für die Ausschreibungsunterlagen.

Weitere Informationen finden Sie hier.


Lebenszyklus-Kostenrechnung

Unter Lebenszyklus-Kostenrechnung (Life Cycle Costing) versteht man die Berücksichtigung aller Kosten, die während der Lebensdauer des Produkts bzw. der Dienstleistung anfallen:

◾ Kaufpreis und alle damit verbundenen Kosten (Lieferung, Installation, Versicherung usw.)

◾ Betriebskosten, einschliesslich Energie-, AdBlue- und Wasserverbrauch, Ersatzteile und Wartung

◾ «End-of-Life»-Kosten (z. B. Stilllegung oder Entsorgung) oder Restwert (d. h. Einnahmen aus dem Verkauf des Produkts)

Unter bestimmten festgelegten Bedingungen können auch die Kosten von Externalitäten (wie z. B. Treibhausgas-Emissionen und deren negative Folgen) einbezogen werden.


Dieser Text wurde erstmals im November 2020 in der Lieferwagen-Umweltliste publiziert.