Gewichtige Änderungen

Im August schickte der Bundesrat eine Revision der Vorschriften zu Gewichtsbeschränkungen für leichte Nutzfahrzeuge in die Vernehmlassung. Alternative Antriebe könnten damit für Logistikzwecke schon bald an Attraktivität gewinnen.

  • Sara Blaser, Sprachwerk GmbH
  • 14. November 2021
Höhere Nutzlast: dank der Änderungen werden Elektro- Lieferwagen mehr Material transportieren dürfen.
Bild: AdobeStock -oka


Bei der Nachhaltigkeitsstrategie vieler Unternehmen spielt die Mobilität eine gewichtige Rolle. Vom Paketzusteller bis zum Handwerkerbetrieb suchen viele Firmen mit Logistiktätigkeit eine Alternative zum Verbrennungsmotor. «Die Nachfrage nach Elektronutzfahrzeugen ist eindeutig da, und zwar immer mehr aus Überzeugung und weniger als Marketingmassnahme», bestätigt Ralf Käser, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Mobilitätsverbands und Experte für Fuhrparkkonzepte.

Gerade im urbanen Raum, mit vielen Kurzstrecken und Stop-and-Go, würden sich elektrisch betriebene Lieferwagen anbieten. Gegenüber ihren Pendants mit Dieselmotor haben elektrisch betriebene Fahrzeuge aber bisher einen bedeutenden Nachteil: Aufgrund des hohen Gewichts der Batterie können sie weniger Last zuladen, bis das zulässige Maximalgewicht erreicht ist. Für viele Unternehmen, die grundsätzlich gerne auf Elektromobilität setzen würden, sind diese Fahrzeuge dadurch ökonomisch nicht attraktiv genug.

Rechnung geht nicht auf

Ein Beispiel ist das Unternehmen Texaid. Für die Entleerung der Altkleidercontainer stehen schweizweit 60 Fahrzeuge im Einsatz. In der Stadt Basel hat das Unternehmen Anfang 2020 ein Elektrofahrzeug – einen MAN TGE – angeschafft. Bei diesem Kleintransporter beträgt die zuladbare Last rund 850 kg, während sie bei den übrigen Fahrzeugen – Opel Movanos mit Dieselmotor – etwa 1400 kg beträgt. Ein Grund, vorläufig auf die weitere Elektrifizierung der Fahrzeugflotte zu verzichten. Philipp Stoller, Geschäftsführer von Texaid: «Die tiefe Nutzlast verteuert die ganze Logistik ungemein. Unsere Fahrer müssen die Ladung so oft leeren, dass sich der Betrieb schlichtweg nicht rechnet. So gut uns das Fahrzeug gefällt, bleibt unser Ziel natürlich, mit möglichst wenigen Kilometern so viel Gewicht wie möglich zu transportieren.»

Änderungen in Vernehmlassung

Dass die Fahrzeugkategorie der leichten Lieferwagen grosses Potenzial hat, um beim Strassenverkehr CO2 einzusparen, hat die EU bereits erkannt. Sie bietet ihren Mitgliedsstaaten seit 2019 die Möglichkeit, das zulässige Gesamtgewicht von leichten Nutzfahrzeugen (LNF) von 3,5 auf 4,25 Tonnen zu erhöhen, soweit die Gewichtserhöhung rein auf das Mehrgewicht des alternativen Antriebs zurückzuführen ist.

«Die Nutzlast ist einer der wichtigsten Faktoren bei der Wahl eines Nutzfahrzeugs.»
Ralf Käser

FDP-Nationalrat Jacques Bourgeois forderte 2018 den Bundesrat in einer Motion auf, mit der EU gleichzuziehen. Das Anliegen fand breite Unterstützung im Parlament und stiess auch beim Bundesrat auf offene Ohren. Im Rahmen des Massnahmenpakets zur Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes wurde im August ein entsprechender Vorschlag in die Vernehmlassung geschickt. Wird dieser angenommen, ist ein Bundesratsbeschluss etwa Ende 2021 zu erwarten.

Was soll sich ändern?

Die Revision sieht vor, dass Lieferwagen mit alternativem Antrieb – und somit nicht nur Elektro-, sondern auch Gasfahrzeuge – bis zu einem Gesamtgewicht von 4,25 Tonnen als LNF gelten sollen, sofern das Mehrgewicht gegenüber den 3,5 Tonnen rein auf den Antrieb zurückzuführen ist. Die zusätzlichen Anforderungen, die normalerweise ab 3,5 Tonnen gelten, sollen für diese neue Kategorie nicht zum Tragen kommen: Der Führerschein der Kategorie B oder BE soll ausreichen, die Fahrzeuge sollen nicht der LSVA unterstellt sein, und weder Fahrtenschreiber noch Geschwindigkeitsbegrenzer wären obligatorisch. Ausserdem sollen die Fahrzeuge nicht den Arbeits- und Ruhevorschriften unterstellt sein und dürften somit auch nachts und am Wochenende gefahren werden. Und im Gegensatz zur EU will der Bundesrat auch Anhänger freigeben.

Sicherheit gewährleistet

Die betroffenen Fahrzeuge müssen die technischen Vorschriften für Fahrzeuge mit einem Gewicht zwischen 3,5 und 12 Tonnen erfüllen. Deshalb gehe von der neuen Kategorie keine zusätzliche Gefahr auf den Schweizer Strassen aus, sagt das Bundesamt für Strassen ASTRA auf Anfrage. Kann ein Fahrzeughersteller nachweisen, dass das Gewicht nur aufgrund des Antriebs 3,5 Tonnen überschreitet, darf das Fahrzeug entsprechend mehr beladen werden. Fahrzeuge, die bisher als Lastwagen galten und die Voraussetzung für die neu geschaffene Kategorie erfüllen, können von den Erleichterungen profitieren.

Nachfrage trotz Krise gross

In den letzten 15 Jahren haben sich die Neuzulassungen von LNF in der Schweiz verdoppelt. 2019 wurden über 35 000 Fahrzeuge neu in Verkehr gesetzt. Elektro- und Gasfahrzeuge machten davon 1,9 % aus. In den ersten sieben Monaten des von Covid-19 gebeutelten aktuellen Jahres ist der Anteil der alternativen Antriebe auf 2,9 % gestiegen, trotz eines Marktrückgangs von 22,5 %. «Die Nutzlast ist einer der wichtigsten Faktoren bei der Wahl eines Nutzfahrzeugs», sagt Käser. «Wäre diese bei Elektronutzfahrzeugen höher, würde das natürlich viele neue Möglichkeiten schaffen und die Attraktivität erhöhen.» Der Elektro-MAN- TGE beispielsweise könnte theoretisch bis zu 750 kg Nutzlast dazugewinnen.

Auch Komfort erhöht

Texaid jedenfalls würde die vorgeschlagenen Änderungen begrüssen. «Wir würden sofort mehr alternativ betriebene Fahrzeuge anschaffen, wenn die Nutzlast höher wäre. Für Ballungsgebiete wäre das sehr sinnvoll», sagt Stoller. Allgemein habe Texaid auf das erste Elektrofahrzeug sehr viel positives Feedback aus der Öffentlichkeit erhalten und auch die Fahrer sind voll des Lobes. «Unsere Fahrer melden uns einhellig, dass sie am Abend entspannter sind als nach einem Tag in einem unserer konventionellen Fahrzeuge», erzählt Stoller. Neben den tieferen Emissionen könnten elektrisch betriebene LNF also auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit des Fahrpersonals haben und zu mehr Sicherheit im Strassenverkehr beitragen.


Ähnliche Situation bei Velotransporten

Im städtischen Raum sind Velokurierdienste beliebt für den Transport leichter Waren. Die Lieferung ist nicht nur emissionsfrei, sondern meist auch schneller am Ziel als mit dem Auto. Die zuladbare Last von Cargobikes ist jedoch beschränkt: Das Gesamtgewicht von Velo, Fahrerin oder Fahrer und Fracht darf 200 kg nicht überschreiten. So bleibt selten eine zuladbare Last von mehr als rund 100 kg.

Das Bundesamt für Strassen ASTRA erstellt derzeit einen Bericht, der als Grundlage für die weitere Entwicklung der Vorschriften des Langsamverkehrs dienen soll. Der Bericht erscheint voraussichtlich Mitte 2021. Somit dürfte es noch eine ganze Weile dauern, bis Transporte mit Cargobikes neue Dimensionen erreichen. Das ASTRA weist jedoch darauf hin, dass rikschaartige Fahrzeuge bereits ein Gesamtgewicht von bis zu 450 kg aufweisen dürfen. Diese in Verkehr zu setzen ist etwas aufwendiger als bei Cargobikes – sie benötigen eine Typengenehmigung, eine Zulassung sowie eine Versicherung. Wer diesen Aufwand aber nicht scheut, sei damit für den Warentransport bereits gut bedient.


Dieser Text wurde erstmals im November 2020 in der Lieferwagen-Umweltliste publiziert.