Mini-Autos und ein Verbot für das Strassenrandparken

Steuervergünstigungen und ein Verbot, am Strassenrand zu parken, beruhigen den Stadtverkehr in Japan schon lange. Hybrid-Antriebe und neuerdings auch rein elektrische Autos werden immer populärer. Weil man mit ihnen Geld spart.

  • Christoph Neidhart
  • 6. November 2023
Auf Japans Parkplätzen sind Felder eigens für Kei-cars reserviert. Ein Kei-car darf maximal 660 cm³ Hubraum haben, nicht höher als 1.48 und nicht länger als 3.40 m sein.
Bild: Adobe Stock / Tupungato


Wer in Tokio ein Auto kauft, muss nachweisen, dass ein privater Parkplatz zur Verfügung steht. Strassenrandparken ist verboten. Da und dort gibt es zwar Zahlparkplätze am Strassenrand, aber über Nacht darf man das Auto auch dort nicht stehenlassen.

In Europas Städten fahren viele Autos nur, weil ihr Fahrer oder ihre Fahrerin noch keinen Parkplatz gefunden hat. Das gibt es in Japan nicht. Hier hat jedes Auto seinen festen Platz.

Zur Arbeit pendeln die meisten Tokioterinnen und Tokioter ohnehin mit dem öffentlichen Verkehr. Die «letzte Meile» von der Wohnung zur U- oder S-Bahnstation legen über eine Million Menschen täglich mit dem Fahrrad zurück. Bei den Bahnhöfen gibt es tausende Veloparkplätze, manche sind als mehrstöckige Parkhäuser angelegt.

75 Franken Autobahn-Maut

Auch privat sind Japans Städterinnen und Städter weniger mit dem Auto unterwegs. Es ist zu teuer. Die Gebühren für die Stadtautobahn sind oft höher als der Preis eines Bahntickets, dazu kommen hohe Parkplatzkosten. Für eine Fahrt von Tokio nach Kyoto zahlt man 75 Franken Autobahn-Maut, viel mehr kostet auch ein Shinkansen-Ticket nicht. Bloss auf dem Land ist man aufs Auto angewiesen.

Ohne Parkplatz-Suchverkehr ist es in den meisten Wohnvierteln ruhig. Geradezu wohnlich. Das war nicht immer so. Zu Beginn der 1960er-Jahre schimpften die Zeitungen über den «furchtbaren Verkehr» und die «Plage der überall geparkten Autos». Dabei sind viele Tokioter Strassen eigentlich zu schmal, als dass man ein Auto stehen lassen könnte. Auch heute noch. Dennoch war es üblich. «Auch hohe Bussen helfen nicht», schrieb die Japan Times 1961.

Als wir unser Auto kauften, prüften zwei Polizisten, ob der Parkplatz gross genug war.

Wenige Jahre danach wurde das Parken auf öffentlichem Grund gegen den Widerstand der Autofahrer und -Herstellerinnen verboten. Das Verbot wurde schrittweise durchgesetzt, erst in Tokio, dann in allen anderen Städten. Wer ein Haus baute – die Japanerinnen und Japaner erneuern ihre Häuser etwa alle 40 Jahre –, musste einen Stellplatz planen. Wer (noch) nicht baute, opferte einen Teil des Gartens. Bereits 1977, so eine Umfrage, begrüsste eine grosse Mehrheit das Verbot des Strassenrandparkens. Heute gilt es als selbstverständlich.

Jedes Auto braucht einen Parkplatz auf privatem Grund. Bei diesem Haus in Tokyo wurde dafür das Erdgeschoss geopfert. Bild: C. Neidhart

Als wir unser Auto kauften, mussten wir dem Beamten auf der Wache Shimo-Kitazawa auf dem Katasterplan unseren Parkplatz zeigen. Am nächsten Morgen tauchten zwei Polizisten mit Massband auf, sie prüften, ob der Platz für unseren kleinen Honda gross genug war. Erst dann erhielten wir die Nummernschilder.

Vorteile für kleine Autos

Neben den normalen weissen Autonummern gibt es in Japan auch gelbe: für die sogenannten Kei-Cars. «Kei» bedeutet «leicht», ein Kei-car darf maximal 660 cm³ Hubraum haben, nicht höher als 1.48 Meter sein und nicht länger als 3.40 m. Kei-Car-Besitzerinnen und -Besitzer zahlen weniger Autosteuern, die Autobahn-Maut ist billiger, und auf Parkplätzen sind Felder eigens für Kei-Cars reserviert. Vor allem aber verbraucht ein Kei-Car weniger Benzin: etwa drei Liter auf 100 Km. Und stösst damit weniger CO2 aus.

Eingeführt wurde der Kei-Car 1949 freilich nicht für die Umwelt, sondern als ein billiges Fahrzeug, das helfen sollte, die kriegszerstörte Wirtschaft anzukurbeln. Damals durfte ein Kei-Car nur 360 cm³ Hubraum haben, es gab auch dreirädrige Kei-Cars.

Ein Drittel aller in Japan registrierten Autos sind Kei-Cars, auf dem Land ist es fast die Hälfte.

Aus der Notlösung ist eine beliebte Autokategorie geworden. Ein Drittel aller in Japan registrierten Autos sind Kei-Cars, auf dem Land ist es fast die Hälfte. Es gibt bis heute simple Kei-Trucks mit blosser Ladefläche, aber längst auch luxuriöse Kei-Cars mit Klimaanlage. Und Kei-Sportwagen. Im schneereichen Norden verfügen fast alle Kei-Cars über Allrad-Antrieb. Es gibt Hybrid-Kei-Cars, die noch weniger Benzin verbrauchen, Nissan bietet mit dem «Sakura» seit einem Jahr einen rein elektrischen Kei-Car an. Bäuerinnen und Fischer fahren Kei-Cars, Handwerkerinnen, die Post und Behörden, auch die Polizei und einige Feuerwehren. Daihatsu wirbt für den «Nibaka», er sei ein mobiler, vielfältig modifizierbarer Verkaufsladen.

Beliebte Hybride

Wer einen Kei-Car fährt, spart Geld. Ihre Betriebskosten wollen freilich auch andere Automobilisten und Automobilistinnen reduzieren. Die Hälfte aller in Japan verkauften Neuwagen sind Hybride, 10 Prozent «batterieelektrische Fahrzeuge» (BEV).

In den 90er-Jahren begann Toyota, Hybrid-Antriebe zu entwickeln. 1997 kam das erste Modell des «Prius» auf den Markt, dessen Verbrennungsmotor um einen Elektroantrieb ergänzt wird. Die Batterie wird mit der Bremsenergie, und in manchen Fällen im Leerlauf und – bei der Plug-in-Version – auch aus der Steckdose aufgeladen. Das spart erheblich Benzin. 2009 wurde der Prius erstmals zum meistverkauften Auto Japans. Das blieb er, bis er 2012 vom «Aqua» abgelöst wurde, einem kleineren Hybrid, ebenfalls von Toyota.

Toyota feierte mit seinen Hybrid-Modellen weltweit grosse Erfolge. Ein Prius verbraucht etwa 4.8 Liter Benzin auf 100 km. Zugleich entwickelte die Firma den «Mirai», dessen Brennstoffzellen aus Wasserstoff Strom produzieren. Toyotas Zukunft schien gesichert – «Mirai» ist japanisch für «Zukunft». Den Übergang zu den BEV hat der Branchen-Primus hingegen verschlafen. Und mit ihm auch die japanische Regierung. Daher werden jetzt – erstmals in der Geschichte – Autos aus China in Japan angeboten: elektrische, welche die japanische Regierung grosszügig subventioniert.

Elektroautos als Stromspeicher

Von Japans grossen Autobauern setzte einzig Nissan früh auf die BEV-Technologie. Mit dem «Leaf» brachte das Unternehmen 2010 das erste BEV-Modell auf den Markt. Und mit dem «Sakura» im Vorjahr den ersten BEV-Kei-Car.

Von Japans grossen Autobauern setzte einzig Nissan früh auf den batterieelektrischen Antrieb.

Alle batterieelektrischen Autos von Nissan sind so eingerichtet, dass man sie im Falle eines Stromausfalls, etwa nach einem Erdbeben, auch zur Energieversorgung des Hauses benützen kann. In Häusern mit Solaranlagen hilft die Batterie des Autos überdies, die Abhängigkeit vom Stromnetz weiter zu reduzieren. Die Batterie des Autos wird, wenn es vor dem Haus steht, mit Sonnenstrom aufgeladen. Und speist den Strom bei Bedarf zurück in Haus. Der Adapter, den man braucht, um mit einem BEV-Auto das Haus mit Strom zu versorgen, wird von Japans Regierung subventioniert.

Nach Angaben von Nissan verfügen 30 Prozent aller «Sakura»-Käufer über eine Solaranlage. Sie produzieren den Strom, den sie benötigen, mehr oder weniger klimaneutral selber.

Kosten und Fahrgefühl als Gründe

Da überrascht es, dass die Sakura-Käufer und -Käuferinnen das Klima nicht zu den Gründen zählen, sich für diesen BEV-Kei-Car entschieden zu haben. «Sie nennen die geringeren Betriebskosten und das angenehmere Fahrgefühl», so Jun Shimizu von Nissans Presseabteilung. Ausserdem sei er leiser, vibriere weniger und fahre sich einfacher als ein Benziner. Und der Motor wirke stark.

Wie wenig man in Japan ans Klima denkt, zeigt der Gang über einen beliebigen Parkplatz zur Mittagszeit. In vielen Autos essen Leute ihren Lunch. Sie lassen, obwohl das verboten ist, ihren Motor laufen, im Sommer für die Klimaanlage, im Winter für die Heizung.

Bequemer, angenehmer, neu, und vor allem im Betrieb günstiger, das motiviert die Japanerinnen und Japaner zum Umsteigen auf klimaverträglichere Autos. Die Sorge ums Klima selber hingegen kaum.

Sowohl für Autos als auch für Velos gibt es mehrstöckige Parkplätze. Bild: Adobe Stock / Aleksandar Todorovic

Christoph Neidhart lebt in Tokio, er war 13 Jahre lang Japan-Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung» und des «Tages-Anzeiger» und hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt in der Edition Isele «Ein Fünfliber im Kuhfladen. Die Schweiz von aussen gesehen: lauter Sonderfälle».