Der verkannte Pionier

Er war einer der wichtigsten Vertreter der Elektromobilität am Anfang des 20. Jahrhunderts – und doch kennt ihn kaum jemand: Johann Albert Tribelhorn – ein Schweizer Pioniergeist in Sachen Elektroantrieb

  • Wolfgang Steiger
  • 16. November 2021
Bereits vor hundert Jahren setzte die Schweizer Post auf Elektro-Dreiräder – hergestellt in der Fabrik von Albert Tribelhorn.
Bild: Sammlung Verkehrshaus der Schweiz, Luzern


Es ist das Schicksal von einem, der seiner Zeit voraus war: Über hundert Jahre sind vergangen, seit Johann Albert Tribelhorn mit der Produktion von elektrischen Fahrzeugen begonnen hatte – noch bevor klar wurde, dass das Erdöl zum Treibstoff des 20. Jahrhunderts avancieren würde. Doch erst jetzt, im 21. Jahrhundert, neigt sich das Zeitalter des Erdöls dem Ende zu: In den nächsten zwanzig Jahren werden immer mehr europäische Länder den Verkauf von Benzin- und Dieselautos verbieten; und auch in Indien und China steht der Wechsel zur Elektromobilität bevor.

Erfinder in Buenos Aires

Albert Tribelhorn, 1868 geboren und in St. Gallen aufgewachsen, hat sich bereits in jungen Jahren mit elektrischen Apparaten beschäftigt. Als er zwanzig Jahre alt ist, schifft er sich nach Argentinien ein. In Buenos Aires besucht er an der Universität Vorlesungen über Elektrotechnik. Drei Jahre später ist Don Juan Alberto bereits Chef der mechanischen Werkstätte der staatlichen Telegraphengesellschaft von Argentinien.

Tribelhorn leitet die Verlegung des Telegrafenkabels zwischen Buenos Aires und Montevideo, erfindet eine wirtschaftlichere Bogenlampe und einen verbesserten Morse- apparat. Sein Hauptinteresse aber gilt der Speicherung von elektrischem Strom. Er lässt seinen modular erweiterbaren «Tellerakkumulator» patentieren. Sein Aufenthaltin Argentinien dauerte zehn Jahre bis 1899 – danach kehrt er in die Schweiz zurück.

So teuer wie ein Einfamilienhaus

In Olten lässt Tribelhorn eine kleine Fabrik bauen, und noch 1900 nehmen die Schweizerischen Accumulatorenwerke Tribelhorn AG Olten & Zürich den Betrieb auf. Da die Tellerakkumulatoren nicht sehr erfolgreich sind, fängt der Mittdreissiger mit dem Bau von Elektromobilen an. Die Zweigstelle in Zürich dient den Verbindungen mit Fahrzeugzulieferern. Komponenten wie Karosserie und massgefertigte Batterien sowie anderes lässt er auswärts herstellen. Auch elektrische Bootsmotoren gehören ins Programm, weshalb Tribelhorn den Betrieb an den Zürichsee zügelt. 1906 beginnt in Feldbach die Produktion von elektrischen Fahrzeugen, meist als Einzelanfertigungen: Lastwagen, Personenautos, Ärztewagen Ärztewagen, Kommunalfahrzeuge, Traktoren, Ambulanzen, Feuerwehrautos, Leichenwagen, Lieferwagen, Milchwagen, Omnibusse für Hotels und sogar ein Vorläufer für den Trolleybus. Siebzig Arbeiter und Angestellte – Schlosser, Mechaniker, Elektriker, Zeichner und Buchhalter – sind beschäftigt.

Der billigste «Tribelhorn» kostet 6345 Franken. Der Preis für den teuersten Personenwagen von 9500 Franken entspricht zu dieser Zeit etwa dem eines Einfamilienhauses. Mit dem Bezug einer neuen Fabrik in Zürich Altstetten, einem Grossauftrag der Post für dreissig Dreiradfahrzeuge für den Kurzstreckenverkehr und mit hundert Arbeitern und Angestellten ist Tribelhorn 1920 auf dem Höhepunkt.

Leise und altmodisch

Aber dann eben: Der Aufstieg des Benzinmotors ist unaufhaltbar; das Erdöl avanciert definitiv zum Treibstoff des 20. Jahrhunderts. Dafür, dass Tribelhorns Pionierleistungen im Bereich der Elektroautomobilität nicht mehr Erfolg hatten, gibt es vor allem technische Gründe: Die Bleibatterie erwies sich durch ihr Gewicht als unhandlich, und ihre Energiedichte konnte nicht mit dem bedeutend leistungsstärkeren Benzin mithalten. Aufgrund des relativ engen Aktionsradius musste eine Fahrt mit dem Elektromobil genau geplant werden, was gegenüber dem Benziner als Einschränkung der Bewegungsfreiheit erscheinen musste. Der Durchbruch der Verbrennungsmotoren hatte aber auch mit dem damaligen Zeitgeist zu tun, in welchem aufheulende und knatternde Motoren ein Statussymbol darstellten.

Leise summende Elektroautos gelten jetzt plötzlich als altmodisch. Und die Tribelhorn AG erleidet 1921 einen Totaleinbruch. Der Konkurs kann zwar knapp abgewendet werden, doch ein Jahr später erlischt die Firma. Die Nachfolgefirma Efag nimmt vorerst mit nur einem Werkstattchef, einem Mechaniker, zwei Lehrlingen und Tribelhorns Tochter Kitty im Büro den Betrieb auf: zuerst in Untermiete in Zürich und dann, als es wieder besser läuft, auf dem Gelände der Accumulatoren- Fabrik Oerlikon. Anfang November 1925 stirbt Albert Tribelhorn 57-jährig. Der letzte von ihm akquirierte Auftrag sind zwei elektrische Lastwagen für die Brauerei Hürlimann. Tribelhorn tüftelte an der Erhöhung der Ladekapazität der Akkumulatoren. Dabei hantierte er mit Substanzen wie Blei, Bleioxid oder Quecksilbersulfat. Der Tribelhorn- Biograf Martin Sigrist vermutet, dass er damit seiner Gesundheit Schaden zufügte und an den Folgen starb.


Tribelhorns Akkumulator

Nach der Rückkehr in die Schweiz produzierte Tribelhorn vorerst den von ihm erfundenen Hochspannungsakkumulator: Eine Säule aus bis zu 38 gestapelten Tellern aus Blei mit konisch vertieften Tellerböden, gefüllt mit verdünnter Säure, lieferte schwankungsfrei 70 Volt Spannung für die elektrische Beleuchtung. Nach 1900 war bei den motorbetriebenen Fahrzeugen im Kurzdistanzverkehr der elektrische Antrieb verbreitet. Er galt als zuverlässig und unkompliziert in der Handhabung. Der Verbrennungsmotor hingegen war anfällig für Störungen und es bestand keine Versorgungssicherheit für Treibstoff von zuverlässiger Qualität. Johann Albert Tribelhorn interessierte sich bereits während seiner Zeit in Argentinien für das Elektromobil. In seinem Nachlass befindet sich die Patentschrift für das US-Patent Nummer 613.420 vom 1. November 1898 für ein elektrisches Automobil – 73 Jahre vor der Geburt von Tesla-Chef Elon Musk.


Dieser Text wurde erstmals im März 2021 in der Auto-Umweltliste publiziert.