Planet retten – leicht gemacht

Die Welt zu verbessern, ist ganz einfach: man muss nur ein Auto kaufen. Zu dieser Überzeugung jedenfalls gelangt die potenzielle Autokäuferin, wenn sie sich bei den Herstellern informiert.

  • Anette Michel, Projektleiterin eco-auto
  • 28. Juni 2022
Umweltbehauptungen zu Produkten können irreführend sein. Die EU will nun eine wissenschaftliche Basis für solche Aussagen schaffen.
Illustration: blitzartgrafik


Autos werden «für den Planeten. Für die Menschen» (Fiat) gebaut und sind «für Menschen, denen die Welt, in der wir leben, und die Menschen, die sie umgeben, am Herzen liegt» (Volvo), liest die Autokäuferin auf den Herstellerwebsites. Ebenso erfährt sie, dass für die Automarken «Nachhaltigkeit zur DNA gehört» (BMW), und dass das Design des neuen SUV-Modells «gemäss dem Prinzip ‹weniger ist mehr› entworfen wurde, inspiriert von der japanischen Art, respektvoll mit der Natur zu koexistieren» (Mazda). Die Autokäuferin ist beeindruckt: das klingt alles wunderbar holistisch, voller Nächstenliebe und mit Mutter Erde verbunden. Eindeutig: Diese Produkte kann sie mit gutem Gewissen und im Reinen mit sich selbst kaufen. Vermutlich wird sie durch den Autokauf gar zu einem besseren Menschen.

Elektrifiziert CO2 reduzieren

Motiviert durch diese erfreuliche Aussicht, recherchiert die zukünftige Autobesitzerin weiter. Bald werden die Informationen konkreter und es zeigt sich, dass die Autobranche beim Klimawandel offenbar Teil der Lösung ist – nicht des Problems. Insbesondere mit Elektroautos will die Branche die grossen Herausforderungen auf mikroskopische Dimensionen schrumpfen lassen.

Mercedes engagiert sich mit der Vision einer emissionsfreien Mobilität für Klimaschutz und Luftreinhaltung. Bereits bis 2030 will das Unternehmen mehr als die Hälfte seiner Autos mit Elektroantrieb verkaufen – hierzu zählt Mercedes vollelektrische Fahrzeuge und Plug-in-Hybride. Bei Toyota heisst es etwas umständlicher: «Toyota wird in der Lage sein, bis 2035 in Westeuropa eine 100%ige CO2-Reduzierung bei allen Neufahrzeugen zu erreichen, vorausgesetzt, dass bis dahin eine ausreichende Infrastruktur für das Aufladen von Elektrofahrzeugen und das Betanken mit Wasserstoff vorhanden ist und die Kapazität der erneuerbaren Energien erhöht wird.»

Gutes tun für unsere Umwelt

Nissan verspricht schlicht und einfach «eine leise und umweltverträglichere Fahrt mit innovativen Elektro- und Hybridantrieben». Gar über die Autos hinaus denkt BMW und leistet für jedes verkaufte elektrifizierte Fahrzeug eine Spende an die Stiftung Umwelteinsatz. Diese ermögliche laut BMW Arbeiten, «um wertvolle und gefährdete Naturlandschaften zu erhalten, Trockenmauern zu sanieren, Lebensräume von Pflanzen und Tieren zu schützen und vieles mehr, das für unsere Umwelt Gutes bewirkt».

Immer noch auf der Website bei BMW verweilend, liest die Autokäuferin: «100% grün: Seit dem Jahr 2020 versorgen wir unsere Standorte weltweit ausschliesslich mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen.» VW wiederum schreibt, die ID.-Elektromodelle würden bilanziell CO2-neutral produziert und der Kundschaft ebenso bilanziell CO2-neutral übergeben. «Bilanziell» bedeute dabei, dass CO2-Emissionen, die nicht vermieden werden können, anderswo durch den Kauf von Emissionszertifikaten eingespart würden.

Rezykliert und lederfrei

Die Kundin runzelt die Stirn und fragt sich, was alle diese Aussagen eigentlich genau bedeuten. Insgesamt ist die Umstellung auf Elektroantriebe und erneuerbare Energie sicher eine gute Sache und sie klickt weiter zum «Interieur». Hier ist sie vollends überwältigt von der schieren Vielfalt an Möglichkeiten, im eigenen Auto eine kleine, bessere Welt zu erschaffen.

Beim BMW iX findet sich Nachhaltigkeit überall wieder.

Beim «BMW iX» «findet sich Nachhaltigkeit in Form von naturbelassenen oder recycelten Materialien überall wieder. So ist das Leder mit einem natürlichen Olivenblattextrakt und damit frei von Chromrückständen gegerbt», während bei einer Sonderaustattung «die Bedieninsel aus FSC-zertifiziertem Holz gefertigt ist und die Bodenverkleidung sowie auch die Fussmatten aus Econyl». Econyl werde aus Nylonabfällen gewonnen. Beim «Hyundai Ioniq 5» enthält der Polsterstoff rezyklierte PET-Flaschen, während im Stoff von Sitzen, Decke und Teppichen Zuckerrohr und Mais verarbeitet ist und das Leder mit Leinsamenöl eingefärbt wurde. Die Türen und Armaturen des «Ioniq 5» sind mit Bio-Lacken behandelt, die Öl aus Rapsblüten und Mais enthalten. Der «Volvo C40 Recharge» wird standardmässig mit lederfreiem Interieur und teilweise recycelten Teppichen ausgeliefert. Auch beim «Audi e-tron GT» sei das Interieur komplett lederfrei und somit ressourcenschonend.

Autos sind offenbar weitgehend vegane Bio-Produkte, hergestellt aus naturbelassenen Pflanzen und rezyklierten Stoffen, ohne Chemikalien oder Leder. Beruhigt atmet die Autokäuferin auf. Es ist eindeutig: Autos sind von dieser Welt. Für diese Welt. Was kann da noch schief gehen?

EU schafft wissenschaftliche Basis für grüne Aussagen

Die Europäische Kommission arbeitet an einer «Initiative, um grüne Behauptungen zu untermauern» (Initiative on substantiating green claims). In den kommenden Wochen will die Kommission einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Ziel der Initiative ist, dass Aussagen zur Nachhaltigkeit von Produkten auf der Basis einer einheitlichen und vergleichbaren Methode gemacht werden. Dabei soll der ganze Lebenszyklus der Produkte berücksichtigt werden.

«Der öffentliche Raum ist voll von grünen Behauptungen über die Umweltverträglichkeit von Produkten – es ist wie im Wilden Westen da draussen», sagt Ioana Popescu von ECOS, einer Umwelt-NGO, die auf Messmethoden spezialisiert ist. «Eine harmonisierte Methodik ist von enormem Wert. Auf diese Weise können wir die Vergleichbarkeit und Gültigkeit grüner Angaben sicherstellen», ergänzt sie.

Die EU hat die Methode in einem mehrjährigen Pilotprojekt getestet und davor die Nachhaltigkeitsbehauptungen zu Produkten untersucht. Rund ein Viertel der untersuchten Umweltbehauptungen entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als möglicherweise irreführend, so auch bei Personenwagen.

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