Wie kommt die Sonne in den Tank?

Klimaschutz heisst Ausstieg aus fossilen Treibstoffen heisst Elektrifizierung – mit Strom aus einheimischen erneuerbaren Quellen. Europaweit nimmt die Energiewende im Stromsektor Fahrt auf. Warum nicht auch in der Schweiz?

  • Tonja Iten, wissenschaftliche Mitarbeiterin; Felix Nipkow, Leiter Fachbereich erneuerbare Energien Schweizerische Energie-Stiftung SES
  • 5. November 2021
Montage der ersten schwimmenden Solaranlage der Schweiz auf dem Lac des Toules im Wallis. Dank intensiver Sonneneinstrahlung kann hier auch im Winter viel Strom produziert werden.
Bild: Romande Energie


Die Schweiz soll nach dem Willen des Bundesrats bis 2050 klimaneutral sein, das verlangt auch das Klimaabkommen von Paris. Dafür müssen wir uns von den fossilen Treibstoffen Erdöl und -gas verabschieden – die Fachwelt nennt dies Dekarbonisierung. Dafür gibt es zwei Ansätze: Entweder sparen wir Energie ein – oder wir ersetzen die fossilen durch erneuerbare Energien.

Dekarbonisierung heisst Elektrifizierung

Der zweitgenannte Ansatz bedeutet in der Praxis meist, Anwendungen statt fossil neu elektrisch zu betreiben. Typische Beispiele sind Wärmepumpen oder die Elektromobilität. Oft geht dies mit bedeutenden Effizienzgewinnen einher: Elektromotoren verfügen über einen Wirkungsgrad von rund 90 %, Verbrennungsmotoren gerade mal 20 %, der Rest verpufft als Abwärme.

Für das Klima ist entscheidend, woher der Strom stammt. Mit Solar- und Windkraft stehen, nebst Wasserkraft, klimafreundliche und kostengünstige, gesellschaftlich akzeptierte und rasch einsetzbare Technologien zur Verfügung. Technisch ist die Dekarbonisierung somit machbar. Die Frage lautet jedoch: Was braucht es politisch, um sie zu realisieren?

Europa auf dem Vormarsch

2018 hat die Europäische Kommission ihre Strategie präsentiert, wie sie bis 2050 klimaneutral sein will, und ihre Absichten bezüglich der erneuerbaren Energien bekundet. Zur Zielerreichung wurde Ende 2019 das Massnahmenpaket «europäischer Grüner Deal» beschlossen. Das Etappenziel 2030 besagt, dass der erneuerbare Anteil am Strommix auf 57 % anwachsen soll. Dieser Anteil steigt kontinuierlich und liegt heute bei rund einem Viertel. Alleine in Deutschland wuchs der Anteil der erneuerbaren Energien von 20 % im 2010 auf 42,6 % im letzten Jahr.

Windkraft spielt die entscheidende Rolle, aber auch bei der Sonnenenergie nimmt der Ausbau exponentiell zu. Dies liegt einerseits am anhaltenden Preiszerfall, andererseits am Abbau von Handelshemmnissen. Infolge der Revision des europäischen Emissionshandelssystems verteuerten sich zudem die CO2-Zertifikate. Das macht die fossile Verstromung unattraktiver, was sich für sämtliche erneuerbaren Energieträger vorteilig auswirkt. Preislich sind Solar- und Windstrom ihren fossilen Konkurrenten inzwischen weit überlegen. Anreize für fossile Investitionen schwinden zunehmend.

Investitionen brauchen Sicherheit

Damit die erneuerbare Energieproduktion weiter ausgebaut wird, braucht es die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Europaweit herrscht ein Strom-Überangebot. Die tiefen Preise bieten keine Investitionsanreize für neue Kraftwerke – unabhängig der verwendeten Energiequelle. Bei den erneuerbaren Energien kommt das Problem der schwankenden Einspeisung hinzu: Wenn europaweit die Sonne scheint oder Wind weht, treibt die wetterbedingt gesteigerte Produktion die Strompreise in den Keller.

Um Investorinnen und Investoren vor übermässigen Preisschwankungen zu schützen, gewähren viele EU-Staaten für neue Kraftwerke Minimalvergütungen – deren Höhe wird mittels wettbewerblicher Auktionen ermittelt. Immer öfter können Wind- und Solarparks auch ohne solche Unterstützungen gebaut werden, indem der Strom in Direktabnahme-Verträgen zwischen Produzierenden und Verbrauchenden gehandelt wird. Dies ist attraktiv für beide Seiten: Wer produziert, hat eine kalkulierbare Rendite – wer kauft, tiefe und stabile Strompreise.

Kohle und Atom: Ausstieg ungewiss

Deutschland hat nach der Katastrophe von Fukushima den Atomausstieg bis 2022 beschlossen. Für die Kohlekraft gab es lange keine Regelung, was zum erwähnten Strom-Überangebot führte. Inzwischen steht fest, dass der Kohleausstieg bis 2038 vollzogen werden soll – allein zwischen 2017 und 2018 ist die Kohleverstromung um über 8 % zurückgegangen. Viele europäische Länder verfügen über konkrete Ausstiegspläne für ihre Kohle- und Atomkraftwerke. Für die Schweizer Atomkraftwerke hingegen besteht eine unbefristete Betriebsbewilligung. Die Schweiz ist im europäischen Vergleich bezüglich Ausbau der Erneuerbaren im Hintertreffen: Von allen EU-Ländern produzieren nur Ungarn, Slowenien, die Slowakei und Lettland noch weniger Solar- und Windstrom pro Kopf. Ein rascher Ausbau tut Not.

Produzieren statt importieren

Die Schweiz darf sich nicht darauf verlassen, Windstrom aus Deutschland importieren zu können. Viel sicherer ist eine einheimische Versorgung. Und auch günstiger – je nachdem, wie der europäische Strommarkt geregelt ist. Damit die Schweiz als gleichberechtigter Partner am europäischen Marktmodell teilhaben kann, muss nämlich zuerst ein Stromabkommen mit der EU abgeschlossen werden. Ohne institutionelles Rahmenabkommen jedoch will die EU ein solches nicht unterzeichnen …

Die Schweiz kann zum Sonnenland werden: Das Potenzial ist mehr als genügend, wenn man Gebäude und andere Infrastruktur nutzt. Auf Schweizer Hausdächern und an Fassaden könnten gemäss Bundesamt für Energie jährlich 67 Terawattstunden (TWh) Solarstrom erzeugt werden – was den heutigen Strombedarf klar übersteigt. Zusätzlich können laut dem Fachverband für Sonnenenergie, Swissolar, auf Lärmschutzwänden, Staumauern, Lawinenverbauungen und weiteren bereits stehenden Infrastrukturen mindestens 15 TWh produziert werden. Was fehlt, ist der politische Wille.

Wie viel Solarstrom braucht die Schweiz?

Heute werden in der Schweiz pro Jahr rund 2 TWh Solarstrom produziert – das entspricht 3,4 % des Verbrauchs. Um den Atomstrom zu ersetzen, werden rund 23 TWh benötigt. Die Elektrifizierung des Verkehrs und der Gebäude beanspruchen in Zukunft je nach eingesetzter Energieeffizienz weitere 17 bis 40 TWh Strom.

Der Flugverkehr allerdings ist in diesen Rechnungen noch nicht inbegriffen. Um das von Herrn und Frau Schweizer verbrauchte Kerosin zu synthetisieren, wären 132 TWh Strom pro Jahr nötig. Eine solch grosse Menge Solarstrom im Inland herzustellen, ist ökologisch unsinnig. Hier muss stattdessen ein Umdenken stattfinden: Die meisten Flüge werden privat getätigt und peilen Destinationen innerhalb Europas an. Mit überlegterem Verhalten und besserem Nachtzug-Angebot lässt sich der Bedarf an Flugtreibstoffen massiv reduzieren.

Handlungsbedarf bei der Politik

Die energiepolitischen Ziele im Energiegesetz bilden diese Herausforderungen nicht ab: Es sieht 11,4 TWh neue erneuerbare Energien bis 2035 vor. Damit wäre nicht einmal die Hälfte des Atomausstiegs geschafft. Die Schweizerische Energie-Stiftung fordert eine Erhöhung dieses Ziels auf 26 TWh – und ein zusätzliches Ziel von 45 TWh bis 2050, das mit den Pariser Klimazielen kompatibel ist.

In den letzten zehn Jahren stieg die aus dem Netzzuschlagsfonds finanzierte Produktion um durchschnittlich 0,4 TWh pro Jahr. In diesem Tempo dauert es 65 Jahre, bis die Atomkraftwerke ersetzt sind. Der Ausbau-Stau rührt von fehlenden politischen Rahmenbedingungen her.

In der Schweiz werden heute fast nur kleine Photovoltaik-Anlagen gebaut, die mittels Einmalvergütungen finanziert werden können. Der günstigste Strom jedoch könnte in mittleren und grossen Anlagen auf Industrie- und Scheunendächern, Lärmschutzwänden oder Stauseen produziert werden. Um solche Anlagen zu bauen und zu betreiben, benötigen Investoren Anreize und Sicherheiten, die das heutige Fördersystem nicht bietet.

Die Hoffnungen auf entsprechende Vorschläge der Energieministerin Simonetta Sommaruga und des neu gewählten Parlaments sind gross. Ob sich entsprechende Mehrheiten finden, ob Klimapolitik und Energiepolitik endlich gemeinsam gedacht werden, bleibt abzuwarten.

Dieser Text wurde erstmals im März 2020 in der Auto-Umweltliste publiziert.


Keywords: Elektro Markt Politik