95 g sind für den Klimaschutz ungenügend

Strengere Vorschriften sollen den CO₂-Ausstoss der Neuwagen senken. Sie setzen zudem starke Anreize für den Verkauf von E-Autos. Doch grosszügige Übergangsregelungen verzögern die volle Wirkung bis 2023. Offen ist, ob die Vorschriften den Trend zu schwereren Autos abschwächen können.

  • Martin Winder, Projektleiter Auto-Umweltliste
  • 6. November 2021
CO₂-Emissionen der Neuwagen (g/km) gemäss NEFZ
Bild: VCS/Quelle: Bundesamt für Energie


Seit Anfang Jahr gilt ein neuer Zielwert für den CO2-Ausstoss der verkauften Neuwagen. Im Durchschnitt sollen diese maximal 95 g CO2/km ausstossen dürfen. Allerdings werden in der Schweiz erst 85 % der verkauften Neuwagen eines Importeurs berücksichtigt: Die Autos mit den höchsten CO2-Emissionen werden vorerst ignoriert. 2021 gilt der Zielwert für 90 % und 2022 für 95 % der verkauften Fahrzeuge. Erst 2023 muss der Zielwert von der gesamten Neuwagenflotte erreicht werden. Die EU verfolgt eine konsequentere Klimapolitik. Der Zielwert von 95 g CO2/km gilt bereits ab 2021 für 100 % der verkauften Neuwagen – 2020 für 95 % der Neuwagen.

Grosszügige Übergangsregeln

Nicht nur die grosszügige Übergangsregelung ist problematisch. Denn obwohl von einem 95-g-Ziel die Rede ist, handelt es sich faktisch um ein 115-g-Ziel. Der Grund: Der Zielwert wurde beschlossen, als noch der veraltete Messstandard NEFZ gültig war. Mittlerweile kommt für Emissionsmessungen der neue WLTP-Messzyklus zum Einsatz, der realitätsnähere und damit höhere Ergebnisse liefert. Für den CO2-Emissionszielwert gelten jedoch weiterhin die NEFZ-Werte.

Die Importeure können die Emissionen ihrer Flotten mit dem Verkauf von Elektroautos aufbessern. Für Elektroautos wird ein CO2-Ausstoss von 0 g pro Kilometer angenommen. Zudem dürfen Elektroautos und gewisse Plug-in- Hybride aufgrund der sogenannten Supercredits- Regelung mehrfach angerechnet werden. 2020 zählt ein Auto mit einem CO2-Ausstoss von unter 50 g/km doppelt, 2021 sinkt der Faktor auf 1,67 und 2022 auf 1,33. Erst ab 2023 zählt ein Elektroauto einfach.

Vorschrift setzt falsche Anreize

Das Neuwagenziel ist eine wichtige, aber ungenügende Massnahme für den Klimaschutz. Das zeigt auch der Blick in die Vergangenheit. So wurde das bis Ende 2019 gültige 130-g-Ziel nie erreicht. 2019 lagen die durchschnittlichen CO2-Emissionen der verkauften Neuwagen bei 142 g/km. Das liegt insbesondere daran, dass immer grössere und schwerere Autos verkauft werden. Dagegen hilft das Neuwagenziel wenig.

Der Zielwert von 95 g CO2 gilt nur für den Gesamtmarkt. Jedem Importeur wird ein individueller Zielwert zugewiesen – in Abhängigkeit des Durchschnittsgewichts seiner in der Vergangenheit verkauften Fahrzeuge. Je höher deren Gewicht, umso höher die individuelle Zielvorgabe. Damit besteht ein zusätzlicher Anreiz, besonders schwere Elektroautos und Plug-in-Hybride zu verkaufen. Denn diese Autos, die auf dem Papier gar keinen oder einen sehr tiefen CO2-Ausstoss haben, erhöhen das durchschnittliche Fahrzeuggewicht und somit die individuelle Zielvorgabe. Dadurch wird es einfacher, die Vorgaben zu erfüllen und gleichzeitig Autos mit hohem CO2-Ausstoss zu verkaufen. Der Trend zur Elektromobilität wird diese Fehlentwicklung weiter verschärfen. Damit die Emissionsvorschriften ihre Wirkung nicht verlieren, muss der Zielwert in den kommenden Jahren deutlich gesenkt werden.

Hohe Bussen sind nicht in Sicht

Erfüllt ein Importeur seine individuelle Zielvorgabe nicht, werden Bussgelder fällig. Bisher mussten die Importeure trotz zu hoher CO2-Emissionen kaum Bussen bezahlen. Um Strafzahlungen auch mit dem neuen Zielwert zu vermeiden, bringt die Branche dieses Jahr zahlreiche Elektromodelle auf den Markt.

Dieser Text wurde erstmals im März 2020 in der Auto-Umweltliste publiziert