SUV-Trend gefährdet Klimaziele

SUVs sind normal geworden. Der ungebremste Boom ist schädlich fürs Klima – auch wenn nicht alle Modelle gleich problematisch sind.

  • Anette Michel, Projektleiterin Auto-Umweltliste
  • 17. November 2021
SUVs sind grösser und schwerer als Limousinen oder Kombis. Besonders schwache Verkehrsteilnehmende müssen bei einer Kollision mit gravierenden Verletzungen rechnen.
Bild: Stefan Wieland/DUH


Im Jahr 2008 reichten die Jungen Grünen die «Offroader»-Initiative ein. Sie wollte Autos verbieten, welche Umwelt und Verkehrssicherheit besonders belasten. Damals waren «Offroader» noch selten; die grossen, geländewagenförmigen Autos fielen auf und wurden wahlweise als «Züriberg-Traktor» oder «Stadtpanzer» bezeichnet. Die Initiative wurde schliesslich zurückgezogen, da die CO2-Neuwagenziele eingeführt wurden. Die «Offroader» heissen heute SUVs (Sport Utility Vehicles) und sind keineswegs verschwunden. Im Gegenteil: Sie prägen das Strassenbild dermassen, dass sie zur neuen Normalität geworden sind. Rund 45 % aller verkauften Neuwagen und sechs der zehn beliebtesten Modelle waren im Jahr 2020 SUVs. Limousinen und insbesondere Kombis haben derweil erheblich Marktanteile verloren.

Höhere Karosserie auf grösseren Rädern

Was ist eigentlich ein SUV? Ganz einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. SUVs werden nicht offiziell erfasst und es gibt kein bestimmtes technisches Merkmal, über das sie sich definieren liessen. So sind längst nicht alle SUV-Modelle mit einem Vierradantrieb ausgestattet, dafür aber teilweise auch Limousinen und Kombis. Hauptsächliche Merkmale von SUVs sind eine höhere Karosserie und grössere Räder. Die Karosserie sitzt zudem höher auf den Rädern. Das führt dazu, dass SUVs eine steilere Frontpartie und schlechtere Aerodynamik haben als andere Modelle. Im Durchschnitt sind SUVs zudem länger, breiter, haben mehr PS und ein höheres Gewicht als Limousinen und Kombis. Die breiteren Reifen führen zu mehr Rollwiderstand. All dies hat einen höheren Treibstoffverbrauch und mehr CO2-Emissionen zur Folge.

Mehr Treibstoffverbrauch

Nicht alle Modelle sind riesige Monsterautos: Längst gibt es auch Kleinwagen mit SUV-Karosserie, die als Kompakt-SUV oder Crossover verkauft werden. Diese sind kaum grösser als andere Kleinwagen und auch der Treibstoffverbrauch kann nur wenig höher sein. Dennoch laufen die SUV-Eigenschaften der Verbrauchsreduktion durch bessere Effizienz entgegen: Ohne SUV-Karosserie hätte jedes Auto einen geringeren Verbrauch. Im Durchschnitt verbrauchen SUV-Modelle 14 % mehr Treibstoff als vergleichbare Limousinen und Kombis.

Mit den echten Geländewagen, von denen sie abstammen, haben die meisten SUVs nur die Karosserieform gemeinsam. Technisch bringen SUVs keine Vorteile gegenüber Kombis, dafür aber meist höhere Preise und Treibstoffkosten.

Hoher Einstieg als Hauptgrund

Warum sind diese Autos so beliebt? Befragt nach den Gründen für die Wahl eines SUVs, nennen VCS-Versicherte vor allem den hohen, bequemen Einstieg. Als zweitwichtigster Grund wird die höhere Position im Auto angegeben, die einen besseren Überblick verschafft.

«Dank seiner Sichtbarkeit ist das Auto das perfekte Gut, um den sozioökonomischen Status seines Besitzers zu demonstrieren.»
Christian Fichter

Die hohe Sitzposition vermittelt auch ein Gefühl von Sicherheit – ob berechtigt oder nicht (siehe Kasten). «Der Wunsch nach Sicherheit hat heute hohe Priorität. Das spiegelt sich auch bei Konsumentscheiden», erklärt Christian Fichter, Leiter des Instituts für Wirtschaftspsychologie der Kalaidos Fachhochschule in Zürich. Neben dem Sicherheitsaspekt sieht Fichter einen weiteren wichtigen Grund für die Beliebtheit von SUVs: «Dank seiner Sichtbarkeit ist das Auto das perfekte Gut, um den sozioökonomischen Status seines Besitzers zu demonstrieren. SUVs wirken stark und dominant und stehen damit für den Wunsch nach Statuserhalt ihrer Besitzerinnen und Besitzer. Diese Aussenwirkung beeinflusst den Kaufentscheid, andere Aspekte wie der Treibstoffverbrauch treten in den Hintergrund.»

Diese beiden wichtigen Aspekte würden von der Industrie gezielt und erfolgreich bespielt, ergänzt Fichter. Einerseits in der Werbung, andererseits auch beim Design der Autos: Dort spielten Psychologen eine wichtige Rolle.

Ursache für mehr CO2-Emissionen

Der SUV-Boom ist weltweit zu beobachten. Mit weitreichenden Folgen für das Erreichen der internationalen Klimaziele: «SUVs sind die zweitwichtigste Ursache für den Anstieg der globalen CO 2-Emissionen seit 2010 – vor der Schwerindustrie, dem Schwerverkehr und dem Flugverkehr », sagt Laura Cozzi von der Internationale Energieagentur. Einzig der Energiesektor habe noch mehr zum Anstieg beigetragen. Der SUV-Boom mache einen grossen Teil der Fortschritte für bessere Treibstoffeffizienz – etwa durch effizientere Motoren und mehr Elektroautos auf den Strassen – zunichte. «SUVs sind für die gesamte Zunahme des Ölverbrauchs von 3,3 Millionen Barrel pro Tag durch Personenwagen zwischen 2010 und 2018 verantwortlich, während der Ölverbrauch anderer Fahrzeugtypen leicht zurückging», schätzt Cozzi.

Weniger Platz für Velos

Der WWF Frankreich stellte in einer Studie ähnliche Berechnungen an und kommt zum Schluss: «Die Elektrifizierung der Flotte wird es uns nicht erlauben, unsere Klimaziele zu erreichen, wenn unsere Autos gleichzeitig an Volumen, Gewicht und Leistung zulegen.»

Neben Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen verschärfen SUVs auch weitere Probleme: Sie brauchen mehr Platz und bedrängen insbesondere Velofahrerinnen und Velofahrer noch stärker, stellen eine grössere Bedrohung für andere Verkehrsteilnehmende dar und verursachen mehr Lärm und Mikroplastik- Reifenabrieb.

All dies gilt natürlich nicht nur für SUVs, sondern für alle grossen, stark motorisierten Autos. Namentlich bei Campern («Vanlife») und Pick-ups zeichnen sich weitere Trends ab, die den Umwelt- und Klimazielen zuwiderlaufen.

Mehr Unfälle mit SUVs

Mittlerweile ist jedes fünfte bei der AXA versicherte Auto ein SUV. Um mehr über Unfälle mit SUVs herauszufinden, hat die Versicherungsgesellschaft im Sommer 2020 Crash-Tests speziell mit SUVs durchgeführt und die Unfallzahlen ihrer Versicherten analysiert. Bei den Auswertungen wurde berücksichtigt, dass junge Autofahrerinnen und -fahrer viel mehr Unfälle verursachen als ältere, aber fast nie SUVs fahren. Der Fokus lag darum auf über 40-jährigen Fahrerinnen und Fahrern, bei denen SUVs sehr beliebt sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass SUVs 10 % mehr Personen- und Haftpflichtschäden verursachen als Limousinen und Kombis. Grosse SUVs verursachen gar 27 % mehr Schäden.

Bei Kollisionen mit einem SUV trägt das kleinere Fahrzeug oft den grössere Schaden davon: «Dies hängt insbesondere mit der Grösse und dem Gewicht der Fahrzeuge sowie der Höhe des Schwerpunkts und der Stossstange zusammen», erklärt Bettina Zahnd, Leiterin der Abteilung Unfallforschung und Prävention bei der AXA Schweiz. Besonders gefährdet sind aber schwächere Verkehrsteilnehmende wie Velofahrerinnen oder E-Trottinett- Fahrer. Sie müssen bei einer Kollision mit gravierenden Verletzungen rechnen. «Gerade weil ein solch grosses Auto wegen seiner Grösse und seinem Gewicht ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, ist es wichtig, dass die SUV-Fahrer das Risiko, das sie selbst darstellen, richtig einschätzen und aufmerksam unterwegs sind», folgert Zahnd.


Dieser Text wurde erstmals im März 2021 in der Auto-Umweltliste publiziert.