«Echte Umweltinnovation von Greenwashing trennen»

Vom Praktikanten bis zum Co-Projektleiter: Kurt Egli hat die Auto-Umweltliste über viele Jahre mitgeprägt. Ende 2019 trat er zurück. Im Gespräch erinnert er sich an die Anfänge, reflektiert die Entwicklung der Automobil-Branche und wagt einen Blick in die Zukunft.

  • Interview: Myriam Holzner, Leiterin Kommunikation und Sensibilisierung beim VCS
  • 1. November 2021
«Die Auto-Umweltliste hat sicher mitgeholfen, die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs zu mildern.» Der langjährige Co-Projektleiter Kurt Egli im Gespräch mit Myriam Holzner.
Bild: Simone Wälti


Kurt Egli, die Auto-Umweltliste wird 36 Jahre alt. Wie kam der VCS dazu, ein Umweltrating für Autos zu publizieren?

Mitte der 70er-Jahre forderte die Stiftung «Gesunde Schweiz Jetzt» mittels Petition, dass der Bund die Lärm- und Abgas-Messdaten der in der Schweiz angebotenen Autos veröffentlicht.

Diese Daten konnte die Öffentlichkeit vorher gar nicht einsehen?

Genau, erst nachdem das Parlament eine entsprechende Motion überwiesen hatte – wogegen die Autobranche stark lobbyiert hatte! –, machte der Bund sie schliesslich zugänglich. Doch bis zur Auto-Umweltliste dauerte es: Im VCS-Info 1/1980 erschien eine Hitparade der 82 leisesten Fahrzeuge. 1981 wurden erstmals sowohl Lärm- als auch Abgas- und Verbrauchsdaten veröffentlicht. 1984 erschien die erste vierseitige eigenständige Publikation, die Lärm, Abgase und Energieverbrauch in einem Gesamt-Umweltbelastungs-Index zusammenführte.

Wie stiessen Sie zum Team der Auto-Umweltliste?

Mehr oder weniger durch Zufall in einem Praktikum während meines Studiums. Der VCS war gerade daran, die zweite Auto-Umweltliste auf den Weg zu bringen. Ich trug dafür die Daten von 100 wichtigen Modellen zusammen, rechnete den Gesamt-Umwelt-Index aus, schrieb einen Einführungstext und eine Legende – das warʼs.

Die Welt hat sich seit den 80er-Jahren verändert, und damit auch die Auto-Umweltliste …

Anfänglich wurden wir von der Autoindustrie und teils auch von den Medien scharf kritisiert. Ein Schweizer Importeur drohte gar mit einer Klage. Tatsächlich beruhte das Bewertungssystem in den ersten Jahren auf Schadstoffmessungen an einem einzigen bis einigen wenigen Fahrzeugen.


«1984 erschien die erste vierseitige eigenständige Publikation, die Lärm, Abgase und Energieverbrauch in einem Gesamt-Umweltbelastungs-Index zusammenführte.»
Kurt Egli

Durch die Zusammenarbeit mit unserem Schwesterclub, dem Verkehrsclub Deutschland (VCD), und dem Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg konnten wir 1997 das Bewertungssystem auf ein wissenschaftlich gestütztes Fundament stellen. Danach adelten die Medien die Auto-Umweltliste als «Guide Michelin des ökologischen Autokaufs». Die steigende Nachfrage nach unabhängiger Information bewog uns, ein umfangreiches Heft und später eine Website, eine Online-Datenbank mit über 1000 Autos und eine App zu produzieren.


Wie sehr hat sich dieses Bewertungssystem bis heute verändert?

Das Grundsystem der Multikriterien-Bewertung ist erstaunlich robust und musste über die Jahrzehnte nicht verändert werden. Einzig die Gewichtungen der Parameter Lärm, Schadstoffe und Verbrauch/CO2-Ausstoss wurden mehr und mehr in Richtung Klima/CO2-Ausstoss verschoben. Gerade der Dieselskandal hat jedoch gezeigt, dass auch die Schadstoff-Problematik noch keineswegs vom Tisch ist.

Und die Autobranche – wie hat sich diese über all die Jahre entwickelt?

Die Autoindustrie hat wichtige Trends verschlafen – etwa die Re-Urbanisierung, also dass die einst ins Einfamilienhaus im Grünen Abgewanderten wieder vermehrt in die Stadt ziehen. Oder die Ablösung des einstigen Konzepts der «autogerechten Stadt» durch die «menschengerechte Stadt». Deshalb taumelt die Autobranche nun von Krise zu Krise. Immer mehr autofreie Haushalte und der Siegeszug des E-Bikes verändern das Mobilitätsverhalten grundlegend.

Prognostizieren Sie gerade das Aus des Autos …?

Im ländlichen Raum und im kombinierten Verkehr werden Autos auch künftig eine Rolle spielen. Doch es wird zahlenmässig weniger Autos geben als heute.

Sind diese Entwicklungen auch der Auto-Umweltliste zu verdanken?

Sie hat sicher mitgeholfen, die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs zu mildern. So waren wir zusammen mit den Lufthygienikern massgeblich dafür verantwortlich, dass in der Schweiz der Dieselantrieb am Markt chancenlos blieb, solange das Feinstaub-Problem nicht durch den Einsatz von Partikelfiltern gelöst werden konnte.

Vor elf Jahren kam zur Auto-Umweltliste die Lieferwagen-Umweltliste hinzu: zuerst als pure Vergleichsliste, seit 2015 ebenfalls als Heft mit redaktionellen Beiträgen.

Was bewog den VCS dazu, auch Lieferwagen, Kleinlaster und Busse nach Umweltkriterien zu bewerten?

Durch die Einführung der LSVA und das Nachtfahrverbot für grosse Lastwagen erlebten die kleinen Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht in den letzten Jahren einen enormen Boom. Auf zehn verkaufte Personenwagen kommt heute ein Lieferwagen. Der Informationsbedarf der Kundschaft – vor allem auch der Firmen und Verwaltungen, die Personen- und Lieferwagenflotten betreiben – rief nach dieser Angebotserweiterung.

Wie nehmen Sie als Beobachter die Fahrzeugbranche wahr – geht es voran mit umweltschonenderen Antrieben und sichereren Autos und Lieferwagen?

Es geht voran – aber viel zu langsam. Fahrzeuge werden vermehrt elektrifiziert; fossilfrei fahren sie aber noch längst nicht. Weltweit betrachtet, wird zurzeit Erdöl für die Benzinproduktion lediglich ersetzt durch Kohle für die Stromherstellung. Wenn wir das Pariser Klimaziel erreichen wollen, müssen Kurz- und Mittelstrecken-Fahrten von Autos auf Velo, E-Bike und ÖV verlagert werden – und die restlichen Fahrzeuge müssen auf dem ganzen Lebensweg fossilfrei sein – von der Produktion bis zur Entsorgung.

Und wann wird die Umweltbewertung des VCS – gedruckt oder online – überflüssig?

Ich fürchte, das wird nicht so schnell passieren. Die unterschiedlichsten Antriebe werden parallel angeboten und weiterentwickelt. Damit steigt der Bedarf an neutraler, fachlich fundierter Information. Zudem wird die Welt komplexer, und es braucht unabhängige Instanzen wie die Auto- Umweltliste, die echte Umweltinnovation von Greenwashing trennt und darüber berichtet.


Zur Person

Der 1960 geborene Kurt Egli hat in Basel und Zürich Geografie, Ökonomie und Raumplanung studiert. Seit 1994 ist er Inhaber eines Umweltberatungsbüros in Winterthur. Zudem engagierte er sich im Bereich Autoteilen und ist Geschäftsleiter des Vereins Clean Fleet, der Firmen für möglichst klimaschonende Personenwagen-Flotten auszeichnet.

Seit 1981 hat Egli massgeblich bei der Auto-Umweltliste mitgearbeitet und war an der Entwicklung der Lieferwagen-Umweltliste beteiligt. Auf Ende letzten Jahres gab er die Co-Projektleitung der beiden Umweltrankings ab.

Egli lebt mit seiner Frau in Winterthur. Der Vater von fünf erwachsenen Kindern besitzt (noch) ein eigenes Auto, ist aber meist per Velo und ÖV unterwegs.


Dieser Text wurde erstmals im März 2020 in der Auto-Umweltliste publiziert.