Auch auf der Strasse unter Beobachtung

Die neue Abgasnorm Euro 6d-TEMP verspricht tiefere Schadstoff-Emissionen bei Dieselautos. Erste unabhängige Messungen bestätigen dies. Damit die Autos die Emissions-Grenzwerte nicht nur bei der Zulassung einhalten, braucht es aber eine Überwachung des Schadstoffausstosses auch im Betrieb.

  • Martin Winder, Projektleiter Lieferwagen-Umweltliste
  • 30. Oktober 2021
An Hauptverkehrsachsen ist die Schadstoffbelastung auch in der Schweiz häufig zu hoch.
Bild: Fotolia/monicelillo


Die Einführung der neuen Abgasnorm soll sicherstellen, dass Dieselautos nicht nur im Prüfstand, sondern auch auf der Strasse keine schädlichen Schadstoffmengen ausstossen. Erste Tests von Dieselautos nach Euro 6d-TEMP, so der Name der neuen Norm, zeigen eine erhebliche Verbesserung der Abgaswerte. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) hat im September 2018 Messergebnisse von 25 Dieselmodellen der neuesten Abgasnorm veröffentlicht. Durchgeführt wurden sie mit einem mobilen Messgerät auf öffentlichen Strassen. Bis auf ein Modell erfüllten die Fahrzeuge die Abgasgrenzwerte.

Der BMW X1 sDrive18d konnte den Prüfstand-Grenzwert von 80 mg Stickoxide pro Kilometer in der Strassenmessung des ADAC mit nur 8 mg sogar sehr deutlich unterbieten. Dies beweist: Die Einhaltung der Grenzwerte ist technisch problemlos möglich.

Skepsis bleibt angebracht

Doch auch das neue Prüfverfahren bildet nicht alle Fahrsituationen ab. So gibt es für Testfahrten im realen Verkehr Vorschriften, wie schnell die Fahrzeuge maximal beschleunigen dürfen. Bei einem Fahrverhalten ausserhalb der Testbedingungen können die Stickoxid-Emissionen massiv ansteigen. Nachgewiesen wurde dies von den Organisationen International Council on Clean Transportation und Transport & Environment.

Sollte sich dieses Muster bei weiteren Messungen vermehrt zeigen, so könnte das darauf hindeuten, dass Hersteller die Fahrzeuge weiterhin auf die Testbedingungen optimieren, anstatt die Schadstoff-Emissionen generell zu senken.

Messungen beim Fahrzeugbestand

Dennoch, Dieselautos der neuen Norm scheinen – im Gegensatz zu den älteren Modellen – die Abgasgrenzwerte weitgehend einzuhalten. Doch funktionieren die komplizierten Abgasreinigungs-Systeme auch nach mehreren zehntausend Kilometern Fahrbetrieb noch so zuverlässig wie bei der Typengenehmigung? Diese Frage liesse sich mittels einer Feldüberwachung des Schadstoff-Ausstosses überprüfen.

Ein Vorbild für ein solches Kontrollsystem sind die Messungen des Kantons Zürich mit einem Remote Sensing Detector (RSD). Der RSD ermittelt die Schadstoffkonzentrationen, indem er die Abschwächung eines Lichtstrahls durch die Abgaswolke eines vorbeifahrenden Fahrzeugs misst. Gleichzeitig werden die Beschleunigung und die Geschwindigkeit sowie das Nummernschild erfasst. Die Abgaswerte lassen sich so dem Modell, dem Alter und der Abgasnorm des Fahrzeugs zuordnen. Das wiederum ermöglicht Aussagen zum realen Schadstoff- Ausstoss des gesamten Fahrzeugbestandes.

Europaweite Feldüberwachung

Im Auftrag des Bundesamts für Umwelt hat ein Konsortium um das Swedish Environmental Research Institute untersucht, inwiefern es möglich wäre, RSD-Messungen aus ganz Europa in einer Datenbank zu vereinen. Durch die Zusammenfassung von Messdaten aus ganz Europa erhöht sich die statistische Aussagekraft der Daten erheblich. Damit könnte man Fahrzeugmodelle mit zu hohem Schadstoff-Ausstoss identifizieren.

Laut Thomas Bütler, Leiter der Forschungsgruppe Fahrzeugsysteme bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa, liesse sich der Schadstoffausstoss der Fahrzeugflotte am effektivsten mit einer Kombination aus RSD-Messungen im europäischen Verbund und gezielten Untersuchungen einzelner Fahrzeugmodelle überwachen.

«Die Stärke des RSD-Verfahrens ist die grosse Anzahl Fahrzeuge, die damit erfasst werden kann. Um festzustellen, ob beziehungsweise warum ein auffälliges Modell die Abgasnormen tatsächlich nicht einhält, sind dann genauere Analysen auf dem Prüfstand oder mit einem mobilen Messgerät im Fahrzeug notwendig», sagt er. Würde dabei ein Verstoss gegen die Abgasgesetzgebung festgestellt, könnten die entsprechenden Schritte für einen Fahrzeugrückruf eingeleitet werden.

Immer weniger spricht für Diesel

Für die Autokäuferinnen und Autokäufer stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, jetzt noch ein Dieselauto zu kaufen. Die Abgasnorm Euro 6d-TEMP verspricht deutlich geringere Schadstoff-Emissionen. Mit RSD-Messungen könnte das in Zukunft auch besser überprüft werden. Dank der neuen Abgasnorm und des – im Vergleich zu Benzinfahrzeugen – tieferen CO2-Ausstosses schaffen es Dieselautos auch wieder in die vorderen Ränge der Auto-Umweltliste. Dennoch sollte der Kauf eines Dieselautos gut überlegt sein. Gasfahrzeuge und das wachsende Angebot an Elektrofahrzeugen ermöglichen in Kombination mit Biogas und Ökostrom nicht nur ein schadstoffarmes, sondern auch ein fossilfreies Fahren. Eine Entscheidungshilfe für den Autokauf finden Sie hier.


Abgasnorm Euro 6d-TEMP

Euro 6d-TEMP verlangt nebst einer Abgasmessung im Rollenprüfstand gemäss WLTP auch eine RDE-Messung (Real Driving Emissions) mit einem mobilen Messgerät auf öffentlichen Strassen. Für die Stickoxid- Emissionen gilt beim RDE-Test ein höherer Grenzwert von 168 mg NOx / km – im Rollenprüfstand dürfen die Autos maximal 80 mg NOx / km ausstossen.

In der EU dürfen ab September 2019 nur noch Neuwagen gemäss Euro 6d-TEMP zugelassen werden. In der Schweiz ist ab diesem Datum der Import von Fahrzeugen der alten Norm nicht mehr erlaubt. Es ist daher möglich, dass auch nach diesem Datum noch bereits früher importierte Diesel-Neuwagen der alten Norm verkauft werden.


Dieser Text wurde erstmals im März 2019 in der Auto-Umweltliste publiziert.