Kommentar

Ein «Recht auf Laden» ist matchentscheidend

Das Elektroauto hat sich durchgesetzt. Über die nächsten Jahre werden die Autohersteller zuerst die Entwicklung, dann die Produktion der Verbrenner einstellen. Prognoseinstitute gehen für Europa von einer Vollelektrifizierung der Neuwagenflotte bis spätestens 2035 aus. Das auf dieses Datum beschlossene Verbrennerverbot ist eine politische Vollzugsmeldung, die Entscheidung wurde von der Autobranche gefällt.

  • Jürg Grossen
  • 7. März 2023
Jürg Grossen ist Nationalrat sowie Präsident der GLP, von Swiss eMobility und Swissolar.
Bild: Parlamentsdienste


Was heisst dies für die Schweiz? Sinkende Emissionswerte, eine enorme Steigerung der Energieeffizienz und – wenn wir den Zugang zu Ladestationen nicht rasch verbessern – leider auch ein Frustpotential.

Eigentlich ist alles angerichtet, damit die Autowende hin zur fossilfreien Mobilität vollzogen werden kann. Ladeinfrastrukturen sind erschwinglich, Lade- und Lastmanagementsysteme sind ausgereift, das öffentliche Versorgungsnetz wächst täglich und V2G-Anwendungen machen Autos zukünftig zu systemdienlichen Stromspeichern.

Das optimale zukünftige Zusammenspiel von Strom und Auto zeichnet sich wie folgt: Wohnhaus mit PV-Anlage, Elektroauto eingesteckt zum Ent- und Aufladen in der Garage, alle Verbraucher kommunizieren untereinander und stimmen Verbrauch und Energieflüsse optimal aufeinander ab. Strom wird gleichenorts produziert, genutzt und gespeichert. Ein Dreieck, welches für die mit sauberer Energie alimentierte und eigenversorgte Schweiz unabdingbar ist.

Ladestation ist das A und O

An der Schnittstelle zwischen Produktion, Nutzung und Speicherung steht die Heimladestation. Ein unscheinbares, vergleichsweise günstiges Gerät. Aber mit enormer Wichtigkeit für Auto- und Energiewende. Ohne Heimladestation lässt sich das Dreieck nicht verbinden. Die komplexen Herausforderungen werden damit gelöst. Der Ursprung des Frustpotentials ist indes viel trivialer: Vielen der zukünftigen Elektroautos bleibt der Zugang zu ebendieser Heimladestation verwehrt, die optimale Ladeinfrastruktur haben die Wenigsten.

Über 75% der Personen leben im Mietverhältnis oder Stockwerkeigentum. Vielen wird der Zugang zu einer Ladestation bis heute von den Vermietenden oder den Stockwerkeigentümergemeinschaften verweigert. Deshalb verfügen wir leider über die europaweit schlechtesten Voraussetzungen für die Autowende.

Über 75% der Personen leben im Mietverhältnis oder Stockwerkeigentum. Vielen wird der Zugang zu einer Ladestation verweigert.

Es liegt auf der Hand, dass wir deshalb die grösstmöglichen Anstrengungen tätigen müssen, um diesen Nachteil auszumerzen. Freiwillige Massnahmen sind sinnvoll und wichtig, aber nicht ausreichend. Deshalb fordert Swiss eMobility das «Recht auf Laden». Es braucht eine Verpflichtung, damit auch auf gemieteten Standflächen Ladestationen bei Bedarf und nicht nur bei ausreichend Goodwill der Immobilienbesitzer erstellt werden können. Die vorgeschlagene Verpflichtung nützt übrigens auch den Vermietenden. Sie können ein intelligentes Gesamtladesystem vorgeben und somit Installationswildwuchs und unnötige Fehlinvestitionen verhindern. Kostenseitig gewinnen mittel- und vor allem langfristig Mietende und Vermietende also gleichermassen. Damit wird ein weiteres matchentscheidendes Puzzlestück ins Gesamtbild hin zu einer fossilfreien, CO2-neutralen Energieversorgung der Schweiz eingefügt.


Motion abgeschrieben

2021 reichte Jürg Grossen die Motion «Mieterinnen und Mieter sollen Elektroautos laden können» ein. Der Bundesrat empfahl die Motion zur Ablehnung, da er die Elektromobilität über Anreize statt Verpflichtungen fördern wolle und im Gebäudebereich nicht der Bund, sondern die Kantone zuständig seien. Im März 2023 hat der Nationalrat die Motion aus Zeitgründen nicht behandelt und schrieb sie ab. Die Debatte um das «Recht auf Laden» wird damit nicht geführt, und die Situation für Mieterinnen und Mieter in naher Zukunft unverändert schwierig bleiben.