«Probieren geht über diskutieren!»

Die SBB liessen ihren Umgang mit Bedenken der Mitarbeitenden gegenüber Elektrofahrzeugen wissenschaftlich begleiten. Ein Merkblatt macht die Erkenntnisse anderen Unternehmen zugänglich, die ihre Firmenflotte ebenfalls elektrifizieren.

  • Anette Michel, Projektleiterin eco-auto.info
  • 20. August 2024
Die SBB organisieren firmeninterne «Roadshows», an denen sich Mitarbeitende mit Elektrofahrzeugen vertraut machen können.
Bild: SBB


«Die Reichweite von Elektrofahrzeugen reicht doch niemals für meine täglichen Arbeiten!», «Das Laden eines Elektrofahrzeugs ist viel komplizierter als das Tanken eines Verbrenners!», «Elektrofahrzeuge sind nicht umweltfreundlicher als Modelle mit Verbrennungsmotor.» Mit solchen skeptischen Aussagen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind die SBB-Flottenverantwortlichen bei ihren Bestrebungen konfrontiert, die firmeneigenen Strassenfahrzeuge zu elektrifizieren.

Bis 2040 wollen die SBB ihre betrieblichen Treibhausgasemissionen um 92 % reduzieren. «Das geht nicht ohne die Elektrifizierung unserer Strassenfahrzeugflotte,» erklärt Julia Plümper, die als Projektleiterin E-Infrastruktur bei den SBB zuständig für die Elektrifizierung der Fahrzeugstandorte ist. Obwohl die SBB vor allem für ihre strombetriebenen Züge bekannt sind, betreiben sie mit rund 2600 Autos und Nutzfahrzeugen auch eine der schweizweit grössten Flotten an Strassenfahrzeugen. «Bis 2030 sollen 50 % der Fahrzeuge elektrisch unterwegs sein, bis 2040 alle,» erklärt Plümper die SBB-Ziele.

Lernen von den SBB

Bei der Elektrifizierung einer Flotte gibt es neben technischen auch psychologische Hürden zu überwinden, sprich: die Skepsis der Mitarbeitenden. Die Akzeptanz und Unterstützung der Mitarbeitenden bei der Transformation zur Elektroflotte sei den SBB wichtig, betont Plümper. «Denn sonst kann es sein, dass weiterhin Verbrenner statt Elektromodelle beschafft oder die vorhandenen Elektrofahrzeuge nicht genutzt werden.»

Um dies zu verhindern, liessen die SBB ihr Projekt von Verhaltenspsychologinnen und -psychologen von der Uni Bern und «The Behavior Lab» wissenschaftlich begleiten. Gilles Chatelain, Inhaber von «The Behavior Lab», erklärt: «Wir haben in Interviews und einer Umfrage die wichtigsten Argumente der Mitarbeitenden gegen Elektrofahrzeuge erfasst und den passenden Umgang gesucht und festgehalten – basierend auf Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaften.» Dank der Unterstützung durch EnergieSchweiz stehen die Erfahrungen der SBB als Massnahmenkatalog auch anderen Unternehmen zur Verfügung.

Unkompliziert laden

Wichtige technische und organisatorische Anpassungen sorgen dafür, dass die Elektrofahrzeuge unkompliziert geladen werden können; sei es auf dem Firmengelände, bei den Mitarbeitenden zu Hause oder unterwegs. Bei den SBB steht das Laden auf dem Firmenareal im Vordergrund, da die Mitarbeitenden die Dienstfahrzeuge nicht privat nutzen und diese nur für den Pikettdienst mit nach Hause nehmen. Am besten sei, wenn für jedes Elektrofahrzeug ein Ladeanschluss bereitstehe, so Plümper zu den Erfahrungen der SBB. «Gibt es weniger Ladepunkte als Elektrofahrzeuge, braucht es entsprechend mehr Organisation, damit alle Fahrzeuge rechtzeitig geladen werden können.»

Die Rückerstattung der Ladekosten ist bei vielen Unternehmen ein wichtiger Punkt, damit elektrische Dienstwagen auch zu Hause geladen werden und ihren Vorteil ausspielen können.

Das Laden unterwegs funktioniert bei den SBB problemlos mittels eines Ladechips am Schlüsselbund jedes Elektromodells. Auf Wunsch können die Mitarbeitenden einen «Juice Booster» mitführen – ein Allround-Ladekabel, mit dem notfalls auch ohne Ladestation nachgeladen werden kann. Und damit die Mitarbeitenden auch mal zu Hause laden können, sollten Unternehmen festlegen, wie die Stromkosten zurückerstattet werden. «Die Rückerstattung der Ladekosten ist bei vielen Unternehmen ein wichtiger Punkt, damit elektrische Dienstwagen auch zu Hause geladen werden und ihren Vorteil ausspielen können,» betont Plümper. Bei den SBB sei im Spesenreglement ein Pauschalbetrag pro Tag, Woche oder Monat festgelegt.

Reichweite aufzeigen

Diese technischen und organisatorischen Anpassungen rund um das Laden sind die Basis, um den Mitarbeitenden die Ängste vor dem Laden und der ungenügenden Reichweite zu nehmen. Darüber hinaus ist es hilfreich, die Reichweite der elektrischen Firmenautos transparent aufzuzeigen. Dafür sollte die realistische Reichweite benutzt werden, die auch im Winter erreicht wird. Die SBB haben diese für ihre Elektromodelle selbst eruiert. «Unsere Daten zeigen, dass die Reichweite an rund 85% der Arbeitstage für alle Fahrten ohne Zwischenladen ausreicht,» so Plümper. Um dies den Mitarbeitenden aufzuzeigen, können die Reichweitenangaben den zurückgelegten Kilometern gegenübergestellt werden. «Die Reichweite kann auch auf einer Karte mit einem Radius rund um den Firmenstandort visualisiert werden,» ergänzt Chatelain.

Unsere Daten zeigen, dass die Reichweite an rund 85% der Arbeitstage für alle Fahrten ohne Zwischenladen ausreicht.

Oft werden auch Bedenken geäussert, Elektrofahrzeuge seien aufgrund der Batterieherstellung und -Entsorgung gar nicht umweltschonender als Modelle mit Verbrennungsmotor. «Diese Bedenken gilt es ernst zu nehmen und zu entkräften,» empfiehlt Verhaltenswissenschaftler Chatelain. Die zuständigen Personen sollten sich über vertrauenswürdige Quellen informieren und den Mitarbeitenden mit aktuellen Studienergebnissen aufzeigen, dass Elektroautos über den Lebenszyklus rund 50% weniger Treibhausgase verursachen als Modelle mit Verbrennungsmotor und auch in Bezug auf die Gesamtumweltbelastung besser abschneiden.

Positive Erfahrungen teilen

Als äusserst wirkungsvoll hat sich erwiesen, für die Mitarbeitenden Probefahrten mit Elektrofahrzeugen zu organisieren. «Personen, die bereits Erfahrungen mit Elektroautos gemacht haben, standen diesen positiver gegenüber und äusserten weniger Bedenken» so Chatelain, und folgert: «Probieren geht über diskutieren!»

Personen, die bereits Erfahrungen mit Elektroautos gemacht haben, standen diesen positiver gegenüber.

Weiter erwies es sich als wichtig, dass positive Erfahrungen unter den Mitarbeitenden geteilt werden. «Gerade im Arbeitskontext wird viel Wert auf die Meinungen von Kolleginnen und Kollegen gelegt. Dies gilt es zu nutzen», empfiehlt Chatelain. Positive oder auch negative Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen sprächen sich schnell herum. «Deshalb ist es wichtig, den Mitarbeitenden positive Erfahrungen zu ermöglichen und die Verbreitung dieser Erfahrungen anzuregen – beispielsweise über Erfahrungsberichte oder Diskussionen in Teammeetings.»

Weitere Informationen

Elektrifizierte Fahrzeugflotten: Der Massnahmenkatalog enthält weitere typische Befürchtungen und Tipps für den Umgang.